Bergtour 19 Zillertal, Krimmler Wasserfälle
Teilnehmer: Achim
Reiner
Frank
Hans-Werner
Tourbuch: Gleitschirmflug vom und Besteigung des Spieljochs in Fügen, Weiterfahrt zu den Krimmler Wasserfällen, Aufstieg zum Krimmler Tauernhaus, Wanderung zur Richterhütte, Wanderung zur Warnsdorfer Hütte mit Eissee, Abstieg nach Krimml.
Das Reiseziel der diesjährigen Fahrt stand im Prinzip beim Aufstieg zu den Krimmler Wasserfällen im letzten Jahr schon fest. Die Jungs sind von den Bildern begeistert, Achim möchte den Teil der Fälle, der ihm im letzten Jahr verwehrt blieb, unbedingt kennenlernen und ich hab das Recht, die Hütte auszusuchen. Also sind alle zufrieden, Hauptsache, sie müssen kein Gepäck schleppen und es wird schön. Dass es letztlich so schön wird, konnte selbst der erfahrenste Wanderer nicht ahnen. Aber alles der Reihe nach.
Meine Familie wurde dieses Jahr überrascht durch die Ankündigung, dass sich die Gastfamilie unseres Sohnes Sascha aus dem beschaulichen Kansas auf die Suche nach ihren lange vergangenen deutschen Wurzeln begeben möchte. Wir verabreden uns zu einem gemeinsamen Besuch des Oktoberfestes in München. Das war schon immer ein Wunsch von mir, der nun erfüllt werden kann. Da das Treffen genau eine Woche vor unserer Wandertour stattfindet, beschließe ich, erst das Oktoberfest zu besuchen und danach per Bahn ins Zillertal zu reisen, um mir eine unnötige Heimreise und 3 Tage später eine erneute Anreise zu ersparen.
Somit wird der Reisebericht diesmal in zwei Abschnitte unterteilt.
Tag 1 – 3 sind Alleinreisetage
Tag 4 – 7 finden wie oben beschrieben statt
Tag 1:
Das Oktoberfest ist Klasse und wir haben einige herrliche Stunden mit der Familie. Am nächsten Tag, ein Montag, reise ich weiter nach Fügen Kapfing, dass ich als erstes Ziel im Zillertal auserkoren habe. Ich habe dieses kleine Örtchen gewählt, weil die Pension damit wirbt, nur einige hundert Meter vom größten Freizeitbad im Zillertal entfernt zu liegen. Da ich ohne Auto unterwegs bin und auch schlechtes Wetter einplanen muss, habe ich geplant, dass bei Bedarf ein oder zwei Saunatage eingelegt werden zum kompletten Relaxen.
Bei meiner Ankunft ist das Wetter durchwachsen, aber die Aussichten für die nächsten Tage sind hervorragend. Ich gehe eigentlich sehr gerne bei schönem Wetter in die Sauna, da ich es genieße im Außenbereich zu liegen. Aber eine Anreise über viele hundert Kilometer auf mich zu nehmen, um dann in der Sauna zu liegen, wo um mich herum die schönste Berglandschaft lockt, bringe ich dann doch nicht übers Herz. Also suche ich nach einem Plan „B“, über den ich mir vorher nie Gedanken gemacht habe.
Wanderkarten über das Gebiet liegen mir nicht vor, aber die Umgebung sieht verlockend aus. Beim Stöbern durch die im Hause ausliegenden Flyer bleibt mein Blick wie magisch bei einem Outdoor Anbieter kleben, der unter anderem einen Fahrradverleih und Gleitschirmflüge im Tandem anbietet. Ich bin vor Jahren einmal mit einem Hängegleiter oder besser bekannt als Drachen vom Tegelberg hinab Richtung Schloss Neuschwanstein im Tandem geflogen. Ein unvergessliches Erlebnis und für mich der Traum vom Fliegen. Schon damals bin ich nur auf den Drachen gekommen, weil alle Gleitschirmflüge ausgebucht waren. Also bietet sich hier eine Chance, versäumtes nachzuholen. Ich beschließe, den örtlichen Anbieter noch am gleichen Tag aufzusuchen, der sein karges Dasein in Zell am Ziller fristet, damit ich am nächsten oder übernächsten Tag bei gutem Wetter gleich losfliegen kann. Seit Jugendjahren fahre ich gerne per Anhalter und kann es bis heute nicht lassen. Also lasse ich Kapfing Hbf und damit die beschauliche Zillertalbahn, die ich morgens benutzen durfte, links liegen und gehe an die Schnellstraße. Der Autostop gestaltet sich recht träge, weil kein Fahrer Anstalten macht, mich mit zu nehmen. Nach geraumer Zeit, ich überlege schon zaghaft doch auf die Bahnreise zu setzen, spricht mich ein Einheimischer an, der hinter mir parkte. Er fährt in Richtung Mayrhofen und ist gerne bereit, die Schnellstraße schon vorher für mich zu verlassen, um mich in Zell abzusetzen. Ein netter Zeitgenosse mit dem ich munter plaudere. In Zell gehe ich zur angegebenen Adresse, um dort festzustellen, dass es sich um einen Kiosk handelt, der neben hübschen Ansichtskarten, Gamsbärten, Cola und Chips auch für die Beratung des Flugbegeisterten sorgt. Ich frage die Dame am Schalter nach den Bedingungen und Preisen für den Flug. Sie drückt mir den bereits erwähnten Flyer erneut in die Hand und meint nur lapidar: „Da steht alles drin!“ Mein zaghafter Einwand, dass ich den Prospekt bereits gelesen habe und die Informationen darin eher überschaubar sind, überrascht die Dame sichtlich. Sie nimmt den Flyer zurück und wirft einen Blick hinein. Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich feststelle, dass die Dame zum allerersten Mal überhaupt die Seiten aufschlägt und einen Blick riskiert. Sie ist mehr als überrascht, über den fehlenden Informationswert und erklärt mir, dass das örtliche Büro des Anbieters nur einige Meter hinter dem Kreisverkehr zu finden sei. Ich verstehe zwar nicht so recht, warum die Adresse des Kiosk mit seinen großen Werbetafeln für das Unternehmen im Flyer angegeben ist, wenn wenige Meter weiter das Büro ist, aber der Niederrheiner macht sich viel zu viele Gedanken und wer kann schon ermessen, was den gemeinen Zillertaler so antreibt, bei der formellen Ausgestaltung seiner Werbebroschüren. Ich laufe also los und gehe zum beschriebenen Kreisverkehr, oder soll ich besser sagen, zum imaginären Kreisverkehr? Ich laufe, wie die Dame erklärt hat und ich weiß, dass meine Augen wirklich nicht die besten sind. Aber es gibt keinen Kreisverkehr, nirgends und schon gar nicht in der beschriebenen Richtung. Das einzige, was im Kreis führt, ist der eingeschlagene Weg, denn nach etwa einem Kilometer Wanderung stehe ich wieder am Kiosk. Die Dame erneut zu fragen erspare ich mir und beschließe, einen anderen Einheimischen nach der Möglichkeit zum Gleitschirmfliegen zu befragen. Es kommt, wie es kommen muss. Entweder hat man keine Ahnung, wo der Anbieter seine Heimstatt hat oder man erklärt mir den Weg zum Kiosk. Na bravo. Also beschließe ich, die Heimreise anzutreten und gehe zum Bahnhof. Hier stoße ich auf einen Angestellten, der mir tatsächlich den Weg erklärt. Es ist nicht sonderlich weit, also gehe ich hin. Zu meiner großen Freude gibt es das „Büro“ tatsächlich. Ein Holzgartenhaus auf einer einsamen Wiese mit Flyern und mehrseitigen Hochglanzbroschüren! Natürlich ist kein Mensch anwesend und es gibt nicht einmal einen Hinweis auf irgendwelche Öffnungszeiten. Ich bin bedient und verwerfe den Gedanken ans Fliegen. Stattdessen beschließe ich, mich nach der Möglichkeit einer Ausleihe eines E-Bikes zu erkundigen. Ich habe bei meinem Streifzug durch den Ort zwei Fahrradläden entdeckt und steuere den an, der am nächsten an der Schnellstraße liegt. Der Inhaber rät mir zu einem Mountainbike mit Elektroantrieb und ich verbleibe lose bei dem Versprechen, am nächsten Tag wieder vorbei zu schauen. Ich springe noch schnell beim Spar rein und kaufe mir Getränke für die nächsten Tage.
Der Weg zur Schnellstraße ist viel weiter, als ich ihn in Erinnerung hatte. Nach ca. 2 km stehe ich an der Auffahrt zu einer Kraftfahrstraße, also kann ich mich nicht direkt an die Straße stellen, sondern muss warten bis Fahrzeuge in die Schnellstraße einbiegen. Obwohl eigentlich Feierabendverkehr herrschen sollte, ist wenig los. Jetzt ist Zell am Ziller nicht grade New York, Paris oder Köln, aber dass so wenig los ist, hab ich dann doch nicht erwartet. Und die wenigen, die vorbeikommen, strafen mich mit Verachtung. Außerdem wird es langsam ungemütlich, denn leichter Nieselregen setzt ein. Ich habe zwar aus der Erfahrung des letzten Jahres gelernt und mich mit einem Schirm bewaffnet, aber es gibt ein Problem, wenn man gleichzeitig eine Papiertüte mit Flaschen und einen Regenschirm halten soll und gleichzeitig den Daumen für den Anhalter rausstrecken möchte.
Nach einer Stunde gebe ich entnervt auf und schimpfe wie ein Rohrspatz auf die Österreicher und ihre Ignoranz gegenüber allem Fremden. Ich wandere den Weg wieder zurück und muss noch ein Stückchen weiter, weil ich direkt zum Bahnhof gehe. Hier stelle ich fest, dass ich nicht mit der Bahn fahren muss, sondern den Bus nehmen kann. Der Bus hält in Kapfing direkt neben meiner Pension, in Uderns am Bahnhof. Meine Hauswirtin hatte mir Speiselokale in Uderns empfohlen, in Kapfing gibt es nur eine Pizzeria. Also beschließe ich während der Fahrt bereits in Uderns auszusteigen, um gleich das Abendessen einzunehmen. Es wird grade dunkel, als ich Uderns HBF erreiche und mit einsetzender Dunkelheit kommt ein ausgiebiger Regenguss. Ich trage wegen der Bequemlichkeit meine Laufschuhe, die leider keinerlei Regenschutz bieten. Nach wenigen Schritten sind meine Füße klatschnass und meine Laune wird nicht besser, weil die ersten beiden Restaurants Montag Ruhetag haben.
Schließlich finde ich dann doch ein Lokal, dass ansprechend aussieht. Die Speisekarte ist äußerst verlockend und ich kann mich nicht entscheiden. Das letzte Gericht auf der Karte nennt sich „Das Restl“ und wird beworben mit „lassen sie sich überraschen“. Nach dem frustrierenden Verlauf des Nachmittags bin ich eigentlich nicht mehr für eine weitere Überraschung negativer Art aufgeschlossen, aber das Lokal sieht so einladend aus, dass ich das Risiko eingehe. Ich werde auf das angenehmste überrascht. Es wird ein 4 Gang Menü serviert. Als Vorspeise erhalte ich eine Gulaschsuppe, so richtig lecker, mit viel Fleisch und Gemüse. Eigentlich reicht das vielen schon als Speise. Danach darf ich mich an einem vorzüglichen Salatbuffet bedienen. Als Hauptspeise werden mir 2 Schnitzel mit Champignonrahmsoße und Beilagen serviert. Das Dessert besteht aus einem üppigen Eisbecher mit Sahne. Alles zusammen für 9,90€. Da bin ich wieder einigermaßen im Reinen mit mir und stelle auch noch erfreut fest, dass der Regen fast vollständig aufgehört hat und mein Heimweg in den nächsten Ort nun etwas weniger mühsam sein wird.
Ich erreiche meine Pension und schaue nach, ob noch andere Gäste den Aufenthaltsraum nutzen, weil ich auf einen langen Abend alleine keine große Lust habe. Ein Ehepaar hält sich im Wintergarten auf und spielt Kniffel. Meine zaghaften Konversationsversuche werden einsilbig beantwortet, also lass ich die beiden allein. Sollen sie im Mief des Hauses glücklich werden. Ach, ich vergaß zu erwähnen, dass ich bei der Wahl des Etablissements einen ziemlichen Fehlgriff getan habe. Ich hab es kurzerhand „das Gesamtkunstwerk“ getauft. Man stelle sich ein Wohnhaus der späten 60er Jahre vor. Mit hässlichen Flokatis, schon bei der Produktion unmodernen Nussbaum Schränken, Einscheibenverglasung, Schiebetüren aus Limba dunkelbraun, Ausziehcouch mit Gitterarmlehnen usw. Jedes Stilmittel ist recht, alles wird wieder gefunden. Und das Beste?! Nix ist schön. Nur die neue Heizung im Bad und die Matratzen im Bett taugen was. Der Rest ist Mist. Also nutze ich die bequemen Matratzen und geh schlafen, morgen ist auch noch ein Tag.
Tag 2:
Das Gesamtkunstwerk wird durch das Frühstück abgerundet. Auf meinem Tisch steht ein Körbchen mit 2 Semmeln, und der Tisch ist „liebevoll“ mit einem Teller und einer Tasse gedeckt. Dazu kann sich der Gast aus Marmeladegläsern aus den frühen siebziger Jahren bedienen, die durch einen halbrunden Glasdeckel mit eingeschweißten Prilblumen verschlossen und herzallerliebst verschönert werden. Einfach traumhaft. Außerdem wird Müsli und Joghurt in der typischen Etagere angeboten. Fehlen darf natürlich auch kein Aufschnitt oder Käse. Aber warum soll man den Gesamteindruck unnötig mit appetitlicher Präsentation verschandeln? Alles auf einem Haufen erfüllt den gleichen Zweck und ist auch bequemer, wenn das Zeug zurück in den Kühlschrank muss. Ich hätte zu gerne Fotos vom Haus und vom Frühstück zur Verdeutlichung gemacht, aber es war immer der Hausherr oder die Mutter anwesend, denen ich nicht unnötig auf den Schlips treten wollte. Übrigens sehr nette Leute, stets auskunftsfreudig und herzlich.
Beim morgendlichen Smalltalk fragt mich der Gastgeber nach meinem Tagesprogramm. Als ich ihm von meiner Idee mit dem Gleitschirmflug und dem Desaster von gestern berichte, erklärt er mir, dass ich nicht mehr nach Zell am Ziller reisen muss, sondern dass der Abflug auch bequem in Fügen möglich ist. Das ist natürlich eine tolle Neuigkeit. Ich beschließe sofort los zu laufen, um nicht unnötige Zeit verstreichen zu lassen. Ich muss zur 2,5km entfernten Talstation der Spieljochbahn wandern. Dort frage ich nach den Möglichkeiten für einen Flug. Es ist ähnlich wie in Zell, die Dame am Schalter verteilt Flyer, aber hier kennt sie sich doch besser aus. Sie empfiehlt mir, sofort anzurufen, da das Wetter nicht mehr besser werden kann.
Ich nehme ihren Rat an und telefoniere mit dem Unternehmen. Es stellt sich heraus, dass der Anbieter seinen Sitz in Mayrhofen hat, und für den Tag eigentlich ausgebucht ist. Aber er verspricht, sich um einen Piloten zu kümmern, der in Fügen starten kann. Ich vertreibe mir die Zeit, in dem ich ein wenig durch die nähere Gegend laufe. Genau in diesem Moment schwebt ein Tandemgleitschirm über mich hinweg und landet in unmittelbarer Nähe. Ich gehe hin und frage nach dem Befinden und den Flugbedingungen. Der Pilot erklärt mir, dass es nicht besser sein kann und der Fluggast bekommt sich gar nicht mehr ein. Es ist ein älterer Herr, deutlich über 60 Jahre, dem das Glücksgrinsen schier ins Gesicht gemeißelt ist. Er ist glückstrunken und meint nur, dass er sofort nach Hause muss, um seiner Frau vom Flug zu berichten und für sie ebenfalls einen Termin zu machen. Ich scheine also alles richtig überlegt zu haben und frage den Piloten nach einem freien Termin. Der winkt jedoch zu meinem Bedauern ab und erklärt, dass er die nächsten beiden Tage ausgebucht ist. Genau in dem Moment klingelt jedoch mein Handy und der örtliche Pilot ist am Apparat. Auch er ist begeistert vom Wetter und meint, ich solle keinesfalls lange warten. Geschäftstüchtig sind die Jungs auf alle Fälle.
Ich bespreche kurz mit ihm, ob ich richtig gekleidet bin und er rät mir zu etwas wärmerer Kleidung. Also vereinbaren wir, dass ich noch einmal zum Haus zurückgehe, er mich dort abholt und wir gemeinsam zum Start fahren.
Jetzt wird mir langsam bewusst, wie Auto abhängig wir doch geworden sind. Eine halbe Stunde Gehzeit hier, eine halbe Stunde dort. Das summiert sich und außerdem ist es auch noch anstrengend. Ich wandere halt in den Alpen, und dort geht es schnell mal bergauf und wieder hinab.
Alex holt mich am Gesamtkunstwerk mit einem seltsamen Gefährt ab, ein kleines Auto mit Namen Think. Beim Anfahren habe ich das merkwürdige Gefühl, mein Zahnarzt hat sich in den Fallschirmrucksäcken im Kofferraum niedergelassen und geht seiner Arbeit nach. Das Geräusch entpuppt sich als Fahrgeräusch eines Elektroautos. Alex ist begeisterter Besitzer von 3 Elektroautos und möchte in seinem Leben nie wieder etwas anderes besitzen. Er ist von der Technik total begeistert und überzeugt. Da Andrea und ich uns zur Zeit mit der Anschaffung eines Hybridfahrzeugs beschäftigen, hat Alex einen geduldigen Zuhörer gefunden und ich bekomme in der nächsten Stunde einen umfassenden und sehr amüsanten Einblick in die Technik von Elektrofahrzeugen und in die seiner Meinung nach vollkommen verfehlte Energiepolitik der Bananenrepublik. Dabei vergesse ich im Prinzip vollkommen, dass ich aufgeregt sein müsste und die Anspannung in mir aufsteigen sollte.
Unversehens haben wir auch die Fahrt mit der Gondelbahn auf das Spieljoch hinter uns und stehen an der Bergstation am Startplatz. Wie immer tummelt sich um Bergstationen ein Haufen Touristen, die sich über die Abwechslung freuen, mir zu meinem Mut gratulieren und den Start beobachten wollen. Ehrlich gesagt, wäre mir kein Publikum lieber, aber das Leben ist kein Wunschkonzert.
Im Übrigen stelle ich fest, dass es eine sehr gute Idee war, mich noch einmal neu anzukleiden. Auf dem Berg liegt noch Neuschnee, der über Nacht gefallen ist. Es ist also noch recht kalt, obwohl man es in der Sonne nicht wahrnimmt. Gott sei Dank hat Alex ein paar Handschuhe für mich im Gepäck, da ich meine zu Hause vergessen habe. Ich werde sie noch heute bei der besten meiner Ehegattinnen anfordern. Es folgt eine kurze Einweisung in den Ablauf des Starts und dann müssen wir nur noch auf den richtigen Wind für den Start warten. Meine Aufgabe beim Start besteht im Prinzip aus 2 Schritten nach vorne um den Schirm aufzurichten und dann auf Kommando laufen bis die Füße in der Luft schweben und ich durch die Schwerkraft in meinen angestammten Sitz als Copilot gedrückt werde. Klingt nicht besonders schwierig und ist auch in der Realität sogar für Beamte mit fortgeschrittenem Alter und beginnender Altersdemenz zu bewerkstelligen. Ich hab mich kaum versehen, da liegen zwischen mir und dem Startplatz 50m Entfernung und gefühlt 30 Höhenmeter. Es ist alles gut und die Aussicht ist grandios. Das Einzige, was den Gesamteindruck ein wenig trübt, ist die relativ große Fallgeschwindigkeit, es geht mächtig dem Tal entgegen. Mein Pilot erkundigt sich nach meinem Wohlbefinden, dass in diesem Moment nicht mehr zu toppen ist. Deshalb macht er mich auf einen weiteren Gleitschirmflieger aufmerksam, der merklich über uns kreist. Er erklärt mir, dass wir zu einem bestimmten Punkt am Bergrücken fliegen müssen, weil dort Aufwinde für uns herrschen.
Aufwinde sind unbedingt nötig für Gleitschirmflieger, denn sonst geht es in sehr überschaubarem Zeitraum zum Landeplatz. Hat man Thermik, geht es wie nix nach oben, da kommt man sich vor, wie im Fahrstuhl. Der Pilot führt einen Höhenmesser mit sich um den aktuellen Ort bestimmen zu können, und jeder Aufstieg wird von einem akustischen Signal des Höhenmessers, einem Klopfgeräusch, begleitet. Dabei wird das Klopfen mit steigender Geschwindigkeit immer schneller. Und jetzt kommen die eher unangenehmen Begleiterscheinungen des Fluges zum Tragen. Es ist sehr schön, wenn man in kurzer Zeit wieder die Starthöhe erreicht, da kann sich jede Seilbahn eine Scheibe von abschneiden. Andererseits nervt das Geräusch. Außerdem geht es bergauf nur im Kreisflug, der Schirm schraubt sich elliptisch wie ein Korkenzieher in die Höhe. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob es sich um einen Anfängerfehler handelt, aber als Fluggast versucht man ständig sich zu orientieren und sucht nach Punkten am Boden. Da der Schirm kreist, verliert man den festen Punkt und ich habe festgestellt, dass es keine magenschondende Form der Fortbewegung ist.
Außerdem geht es ja nicht nur ständig nach oben. Gerät der Schirm aus dem Bereich von Aufwinden gerät, fällt er unabwendbar bis er wieder Aufwind erhält. Dies führt zu einer leichten Form von Achterbahn oder Seegang. Ich neige nicht zu Seekrankheit, aber ich merke doch deutlich einen leichten Schwindel. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass der Schirm mit etwa 40 km/h über dem Boden unterwegs ist. Bei Rückenwind auch deutlich schneller. 40 Km/h im Kreis sind eine Herausforderung für mich geworden. Früher hätte mir das nichts ausgemacht, aber ich stelle mit fortschreitendem Lebensalter immer häufiger fest, dass gewisse Anforderungen an meine Gleichgewichtsorgane nicht mehr spurlos angenommen werden. Leider! Viele Leser werden sich per Mofa oder Motorrad vorwärtsbewegt haben. Für diese Personen ist es leicht nach zu vollziehen, dass bei einer Geschwindigkeit von 40 km/h ein Menge Fahrtwind herrscht. Der Startplatz lag auf 1860 m Höhe und ich habe bereits beschrieben, dass es zwar in der Sonne angenehm ist, aber ansonsten ziemliche Kälte herrscht. In der Zwischenzeit haben wir die Ausgangshöhe wieder erreicht und ich stelle fest, dass meine Kleidung deutlich zu optimistisch gewählt ist. Es ist ordentlich kühl.
So dies reicht jetzt aber auch mit negativem. Ansonsten ist es wirklich fabelhaft. Unbeschreiblich ist dabei das einzig wirklich treffende, denn wie soll ich auch nur annähernd strahlendblauen Himmel, grüne Felder, Wälder, Wiesen, märchenhafte Landschaft von oben, Glücks- und tausend andere Gefühle beschreiben. Dazu müsst ihr schon eurer Phantasie freien Lauf lassen! Ich sage nur so viel, Alles ist gut!
Alex hat selber eine Unmenge Lust zu fliegen, da er das super schöne Wetter ausnutzen möchte. Sein Alternativprogramm war ein acht Stunden Bürotag für seine Firma. Er hat sich mit großem Vergnügen ablenken lassen. Die normale Flugzeit vom Spieljoch bis zum Landeplatz ist mit 15 bis 20 Minuten angesetzt. Dabei kann man getrost von 15 Minuten ausgehen, weil die Piloten meist einen engen Terminplan haben, denn ständig warten die nächsten Passagiere. Alex hat jedoch niemand außer mir und deshalb kann er den Flug nach seinem Gutdünken gestalten. Er avisiert mir eine Flugzeit von ca. 45 Minuten, die normalerweise schon den doppelten Preis erforderlich macht. Außerdem darf ich auch den Schirm selber steuern, was dem Ganzen eine besondere Note erteilt.
Nach ca. 40 Minuten in der Luft wird es uns dann doch zu kühl und wir beschließen, zum Ende zu kommen. Dabei erklärt mir Alex, dass er noch ein besonderes Schmankerl für mich aufbewahrt hat. Es gibt für Menschen mit Flugerfahrung und robustem Magen die Möglichkeit eines Abenteuerflugs. Für den geneigten Leser sei erklärt, dass damit gemeint ist, aus einem Gleitschirmflug eine Achterbahnfahrt zu machen. Es wird die Geschwindigkeit ausgenutzt für kleine Kurven in ständig wechselnder Richtung und dabei wird durch die eher waagerechte Stellung des Schirms auch eine gewisse Berg und Talfahrt simuliert. Schon die Ankündigung treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Alex beruhigt mich und erklärt, dass er das nur mit ausgesuchten Personen unternimmt und er mich für geeignet einschätzt. Ich bin ihm dankbar, für sein Vertrauen. Trotzdem erkläre ich hiermit nach der Erfahrung, dass ich mich nicht mehr zur Zielgruppe zähle. Ich habe es schadlos überstanden, aber ich gebe in der Retrospektive gerne zu, dass ich auf die Erfahrung ohne Probleme hätte verzichten können. Ein Gutes hat es, ich freue mich danach gradezu auf die Landung und endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Die Landung ist gänzlich unspektakulär, man sitzt plötzlich einfach auf dem Boden. Da war die Drachenlandung doch eine andere Hausnummer. Während wir unseren Schirm und das restliche Equipment zusammenpacken, landet auch der zweite Gleitschirm. Der Pilot ist ca. eineinhalb Stunden geflogen, trägt Skibekleidung und ist trotzdem bis auf die Knochen durchgefroren.
An dieser Stelle möchte ich kurz einen Chat zwischen Frank und mir zum Besten geben, den wir per Whatsapp geführt haben. Ich habe ihm angekündigt, dass meine herzensgute Ehefrau bei ihm aufschlagen wird und die vergessenen Handschuhe bringen wird.
Frank: „Handschuhe? Du Pussy reiß dich zusammen. Wie es aussieht soll es Do-So zumindest trocken bleiben und Schnee ist nicht angesagt.“ – Im weiteren Verlauf setze ich den Dialog etwas verkürzt so fort:“ Zum Thema Pussy und Handschuhe - Am Startplatz lag im Schatten Schnee. Also denkt lieber an die Handschuhe. Besser dabei und nicht angezogen, als gefroren….“ Frank:“Quatsch, gleich willst du mir noch erzählen, ich soll die Winterreifen aufziehen. …. Der Wetterbericht sieht ja gut aus!“ Antwort: „Naja, ob Winterreifen wohl reichen. Bei mir Keller liegen noch Ketten!“ Soviel vorweg: An seine Worte wird er sich später noch erinnert haben.
Der geschäftstüchtige Alex verkauft mir noch schnell ein paar Fotos von meinem Flug und bringt mich zum Haus zurück. Ich hatte mir eigentlich für den Nachmittag noch eine Bergwanderung vorgenommen, aber als ich mich umziehe, weicht das Adrenalin aus meinem Körper und ich fange fürchterlich an zu frieren. Ich lege ich mich ins Bett, schlafe ein wenig und brauche geschlagene zwei Stunden um einigermaßen aufzutauen. Damit ist für größere Unternehmungen kein Raum mehr und ich gehe nur ein wenig durch das Tal spazieren, erkunde die nächstgelegenen Restaurants für das Abendessen, esse ein leckeres Ochsenauge und unterhalte mich mit einigen anderen Gästen aus dem Ort. Zum Abendessen gönne ich mir eine Frittatensuppe und Kaiserschmarren. Ein würdiger Abschluss eines denkwürdigen Tages.
3. Tag
Ich habe gestern meinen Piloten Alex nach einer schönen 4 bis 5 stündigen Wanderung am Nachmittag am Spieljoch gefragt und er hat mir eine Auffahrt mit der Gondel empfohlen, von dort aus über 2 Kämme zur Kellerjochhütte und zur Kapelle auf dem Gipfel mit einem traumhaften Rundumblick. Danach geht es über Gartalm und Geolsalm zurück hinab, damit man nicht den gleichen Weg wie auf dem Hinweg gehen muss. Er avisiert mir einen wunderbaren Rundweg.
Irgendwo in seiner Schilderung muss ich etwas verpasst haben. Für mich bedeutet hinab, dass ich ins Tal zurück kann. Eigentlich bin ich erfahren genug, um Höhenangaben in Stunden umzurechnen. Dazu bedarf es allerdings zweier Voraussetzungen.
a) Man kümmert sich um Höhenangaben
b) Man schaut sich die Karte genau an
Beides habe ich am Vortag gänzlich vergessen und mache mir erst heute meine Gedanken, wie ich meine Tour gestalte. Da mir Alex einen Abstieg ins Tal empfohlen hat und nach einer Beschreibung die Tour 4-5 Stunden dauern soll, beschließe ich im Umkehrschluss, meine Wanderung bereits im Tal zu starten und dann eventuell bei Konditionsschwäche die Gondel ins Tal zu wählen. So weit, so theoretisch. Ich vergaß zu erwähnen, dass ich durch Alex Vortrag über die notleidende Elektrofahrzeugindustrie permanent abgelenkt bin von der Länge der Gondelfahrt und auch keinen weiteren Gedanken an etwaige Entfernungen verschwendet habe. Und oben vergingen die Strecken irgendwie wie im Flug. :-)
Heute muss ich schon wieder feststellen, dass es nicht nur toll ist, auf Ökos Pfaden zu wandeln. Ich muss schon wieder 2,5 km bis zur Spieljochbahn. Das wird langsam ärgerlich. Ich bin zwar zum Wandern hier, aber diese Zusatzstrecken sind genauso beschwerlich wie lästig. Aber auch das geht vorbei und eine halbe Stunde später stehe vor der großen Schautafel mit den Wanderrouten rund um das Spieljoch. Ich wähle für den Aufstieg die Route 18, die den angenehmen Nebeneffekt hat, dass sie öfter auf Strecke 17 trifft, die deutlich kürzer also auch steiler zu sein scheint. Ich meine, dass ich damit eine Wahl habe und beglückwünsche mich zu meiner Raffinesse.
Der Weg beginnt wie so oft beschaulich über eine Fahrstraße und endet vor einem Gatter. Bis hierher hat es ein älteres Ehepaar, er unterstützt von einem Rollator, geschafft und sonnt sich auf einer Bank. Ich verabschiede mich von den beiden vergnügt in die rollatorfreie Zone. Der angrenzende Weg führt nur wenige Augenblicke später in den Wald und ab hier ist spontan Schluss mit lustig. Die Talstation liegt auf eher beschaulichen 641 Meter über dem Meeresgrund und selbst dem unerfahrensten Flachlandbewohner sollte einleuchten, dass die Strecke zwischen eben jener Höhe und der Bergstation irgendwie überwunden sein will. Nach dem Studium von Wikipedia habe ich für den Klugscheißmodus erfahren, dass die Distanz zwischen Tal- und Bergstation genau 3925 m beträgt. Dabei ist die steilste Stelle mit einer Neigung von 74 Grad angegeben. Ich glaube aus der Erinnerung, dass die steilste Stelle ziemlich genau bei Eintritt in diesen dämlichen Wald beginnt und erschreckender Weise durchgängig erhalten bleibt. Von Weg 17, der nun ab und an meinen beschaulichen Weg kreuzen soll, ist weit und breit nichts zu entdecken. Wahrscheinlich hat dieses Bergvolk aus lauter Boshaftigkeit gegenüber dem nicht zahlenden Bergbahnverweigerer Weg 18 zugeschüttet und Weg 17 umgetauft. Ich quäle mich also stetig bergan und gebe meiner gutgefüllten Wasserflasche schon mal den Rest, damit ich nicht so schwer tragen muss. Wenig später taucht vor mir ein Wegweiser auf und ich hoffe auf nähere Auskunft über die weitere Wegstrecke in Zeitangabe. Ich werde nicht enttäuscht, es ist nur noch eine Stunde. Gott Lob, das werde ich schaffen. Aber dann muss ich doch entrüstet feststellen, dass sich die Zeitangabe nur auf den Weg bis zur Mittelstation bezieht, von der Bergstation ist nichts überliefert. Ja was soll denn so eine ungenaue Angabe. Ich habe als Zahler von Kurtaxe ein natürliches Recht auf umfassende Aufklärung, mit Halbwahrheiten kann und will ich mich nicht zufrieden geben. Und überhaupt, wie kommen diese Ignoranten überhaupt auf die völlig unsinnige Idee, dass der Weg zur Mittelstation, ich betone: Mittelstation, noch eine Stunde dauern soll, wo ich doch bereits ziemlich genau eine Stunde unterwegs bin, quasi nichts mehr zu trinken mitführe und außerdem für die Gesamtstrecke nur 2 Stunden angesetzt hatte. Die müssen sich vertun, diese Anfänger.
Leider sitzt der Anfänger heute an der Tastatur und fragt sich immer noch, wie ihm so ein Fehler unterlaufen konnte. Es ist natürlich bis zur Mittelstation noch ein Weg von 1 Stunde zu bewältigen. Kurz vor der Station kommt mir die Eingebung, dass Mittelstationen oft nach ihrer Lage benannt werden. Somit ziehe ich in Betracht, dass der weitere Weg tatsächlich noch einmal die gleiche Entfernung betragen kann wie der erste Teilabschnitt und meine Tagesplanung ein wenig aus den Fugen zu geraten droht. Also beginne ich mich schon mal mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich bei einer Zeitangabe von mehr als einer Stunde bis zur Bergstation in die Bahn einsteigen sollte. Jetzt lasse ich den geneigten Leser mit seinen Gedanken kurz alleine und gebe ihm die Möglichkeit, für ein munteres Ratespiel. Wie werden sie sich entscheiden? Wird die Zeitangabe eine Möglichkeit zum weiteren Aufstieg bieten oder werde ich kleinlaut in die Bergbahn, deren Hilfe ich sonst so überaus gerne in Anspruch nehme, heute aus lauter Vernunftgründen steigen müssen.
Liebe Leser, ich möchte euch nicht zu lange auf die Folter spannen. Dieses Bergvölkchen meint es einfach nicht gut mit mir und der weitere Aufstieg soll tatsächlich noch einmal 2 Stunden dauern. Auch wenn ich als erfahrener Bergwanderer diese Zeitangabe jetzt einfach mal in Frage stellen möchte, gebe ich dennoch zu, dass ich spontan auf einen Versuch, den Weg in einer Stunde zu schaffen, verzichte und stattdessen eine 15 minütige (übrigens auf Grund von fehlendem Kassenpersonal und Kontrolleuren kostenlose) Fahrt bevorzuge.
An der Bergstation reguliere ich erst einmal meinen Wasserhaushalt durch Zufuhr eines großen Bieres. Die Kellnerin befrage ich auch gleich nach meinem weiteren Weg. Die Dame schaut mich an, als ob ich drei Arme hätte. Was ich denn da vor hab, das sei schlichtweg unmöglich. Ich bin ja einiges gewöhnt in den Bergen und denke spontan an einen drohenden Wetterumschwung. Bei genauerer Betrachtung des strahlendblauen Himmels und in Erinnerung an den Wetterbericht für den heutigen und die folgenden Tage, scheidet die Möglichkeit jedoch aus und deshalb frage ich Dame, was an meinem Vorschlag nicht klappen soll. Man kann in ihrem Gesicht förmlich lesen. „Tourist du depperter, keine Ahnung von nichts und jetzt soll ich dir auch noch die Welt erklären.“ Sie erklärt mir aber doch freundlich, dass die Runde ca. 4 Stunden lang ist und deshalb nicht mehr geschafft werden kann. Da die letzte Gondel 16:30 Uhr ins Tal schwebt, müsse ich zwangsläufig kurz vorher zurück sein. Da es jetzt bereits kurz nach 12 Uhr ist, ist die Gefahr, die letzte Fahrt zu verpassen, zu groß und ich komm nicht mehr runter. Hmh, ich gebe zu, dass ist ein Einwand, den ich nicht bedingungslos von der Hand weisen kann. Kurz überlege ich, ob ich ihr erklären soll, dass ich gar nicht vorhabe, die Bahn zu benutzen. Aber warum soll ich mich auf eine Diskussion einlassen? Stattdessen gebe ich ihr zu verstehen, dass ich gestern von einem Einheimischen den Tipp für die Route für die gleiche Uhrzeit erhalten habe und dieser mir nicht ab- sondern im Gegenteil unbedingt dazu geraten hat. Der Gesichtsausdruck wird wieder kurz ein wenig stoischer und ich bekomme zur weiteren und damit abschließenden Erklärung zu hören, dass Einheimische schon auch andere Dinge dort vollbringen, dies jedoch zweifelsfrei nicht eins zu eins auf jeden Touristen übertragen werden kann. Wenn ich die Tour schon plane, solle ich an einem der nächsten Tage die erste Bahn hinauf nehmen und dann in aller Ruhe starten. Kurz sinniere ich, ob sich meine Freunde über eine Übernachtung im Gesamtkunstwerk freuen können und statt der versprochenen Aussicht auf die Krimmler Wasserfälle vielleicht auch mit einer Einkehr in die Gipfelkapelle vorlieb nehmen möchten. Die Prognose fällt mir so schwer, dass ich mich dann doch gegen diese Idee und für eine Alleinbegehung wie geplant entscheide.
Ich gebe jedoch zu, dass die Dame ein latentes Unbehagen ausgelöst hat und ich nicht frei von Zweifeln loslaufe. Ich beschließe, zuerst einmal das Spieljoch und seinen Beinahegipfel zu erstürmen, um von dort aus, bei noch besserer Rundumsicht, den letzten Entschluss des Tages zu fassen. Die Rundumsicht wird durch noch höhere, mit einer Kapelle verschönerte Berge versperrt, und ich frage stattdessen ein paar andere Gipfelstürmer nach dem Weg. Keiner ist über die Gipfel gegangen und ich muss mich entscheiden, was ich heute noch anstellen soll. Der Weg zur Gartalm ist ausgeschildert, aber es fehlt die Zeitangabe. Der Weg zur Geolsalm ist nirgendwo beschrieben. Da ich beim gestrigen Flug die Geolsalm von oben gesehen habe, möchte ich sie lieber als mein Tagesziel anpeilen. Ich gehe einfach nach Gefühl los und hoffe, dass ich nicht gänzlich falsch liege. Da Alex jedoch von einem Rundweg sprach, sollte auch diese Variante möglich sein. Nach weiteren 45 Minuten Wanderung über Stock und Stein kommen mir endlich zwei Wanderer, leicht als Einheimische zu erkennen, entgegen und ich frage nach der Gehzeit zur Gartalm und dem Weg zur Geolsalm. Das die Gartalm nur kurze weitere 45 Minuten entfernt ist, hab ich insgeheim schon befürchtet. In der Zwischenzeit quälen mich ungeheure Bauchkrämpfe und ich bin froh, dass ich den Gipfelsturm ausgelassen habe. Aber die Aussicht auf den jetzt noch zu bewältigenden Weg ist auch nicht so rosig. Egal ich muss dadurch und ein entgegenkommendes weiteres Ehepaar baut mich mental auf. Sie sind schon auf dem Rückweg und fanden den Weg ab hier nicht mehr so schlimm. Na wenigstens scheine ich das Schlimmste geschafft zu haben. Ich erreiche die Alm zur angegebenen Zeit und bestelle mir ausreichend Getränke gegen Durst und Magenschmerzen. Der Tee hilft und ich kann mich auf den Rückweg vorbereiten. Der Almwirt erklärt mir, dass ein direkter Abstieg ins Tal etwa 3,5 Stunden dauern wird. Es ist jetzt kurz nach 14.00 Uhr und ich bin schon ganz ordentlich geschafft. Als ich vom Nebentisch höre, wie sich eine Männergruppe nach dem Weg zur Seilbahn erkundigt und den von mir zuvor begangenen Weg als den zwar schöneren, wenn gleich auch ca. 15 Minuten längeren Weg empfohlen bekommt, entscheide ich mich für den Weg zurück zur Seilbahn auf dem kürzesten Weg. Der entpuppt sich als recht schöner Bergweg, der stetig Berg an führt und mir ordentlich was abverlangt. Ich habe über den Tag nicht gut gehaushaltet mit meinen Kräften. Als nach langer Runde die Bergstationen der Sessellifte des Spieljochs wieder in Sicht kommen, schöpfe ich neue Kraft und lasse mir den Ausblick von einem weiteren Gipfel nicht nehmen. Im Prinzip ist das Blödsinn, weil ich hier gestern noch geflogen bin, aber es gehört zum Programm und wird deshalb gemacht.
Da ich sehr pünktlich zurück bin, was bedeutet, dass die Herrengruppe auf dem längeren Weg gleichzeitig mit mir eintrifft, habe ich noch ein wenig Zeit und Muße für ein Sonnenbad auf den bereitstehenden Sonnenliegen. Hier lasse ich es mir jetzt mal so richtig gutgehen. Kurz vor Abfahrt der letzten Bahn begebe ich mich zur Talfahrt, höre in der Bahn die Lautsprecherdurchsage für die letzte Talfahrt und sinniere, ob ich nicht doch besser über die Gipfel gestürmt wäre. Da der Weg als leicht bezeichnet wird, dürfen sich meine Wanderfreunde schon auf einen Rundweg in den nächsten Jahren dort freuen.
Im Tal darf ich den mir schon bestens bekannten Rückweg von Fügen nach Kapfing laufen. Ich kann keinem erklären, wie wenig Lust ich dazu noch habe. Eigentlich sollte ich durch die Zeit in der Sonne und der Talfahrt wieder erholt sein, aber das Gegenteil ist der Fall. Ich bin froh, als ich endlich das Gesamtkunstwerk erreiche und mich auf mein Bett schmeißen kann. Nach kurzer Zeit höre ich auf dem Balkon nebenan Stimmen und ich beschließe meine unbekannten Nachbarn zu fragen, wo sie ihr Abendessen einnehmen wollen. Vielleicht ergibt sich spontan eine Mitfahrmöglichkeit. Leider waren meine Nachbarn erst gestern aus essen und haben für heute Schmalhans als Küchenmeister bestellt. Es gibt im Frühstücksraum die Möglichkeit auf einer Herdplatte Kleinigkeiten zu erwärmen, was sie für heute vorhaben. Damit schreibe ich für heute das Abendessen in Uderns ab, weil ich am Ende meiner Kräfte bin. 30 Minuten Hinweg, 2 Stunden Aufstieg, rund 2 Stunden Hin- und 1,5 Stunden Rückweg, dann wieder 30 Minuten zurück zum Haus, sind ca. 6,5 Stunden Laufzeit. Dabei habe ich in etwa 1200 Höhenmeter mit allen Gipfelerkundungen bewältigt. Das ist kein ausgesprochen schwieriges Programm, aber mir hat es gereicht. Die bewältigte Wegstrecke dabei liegt in etwa bei 18 bis 20 km über Stock und Stein, nicht zu vergleichen mit einer hübschen Straße im Tal oder einem Fahrweg.
Ich nicke ein und werde um kurz vor 19 Uhr wieder wach. Jetzt quält mich der Hunger und ich beschließe doch noch einmal loszugehen. Für Hin- und Rückweg darf der geneigte Leser noch einmal zusammen eine Stunde zum Tagesprogramm addieren. Das Essen ist großartig. Zusammenfassend kann ich nach 3 Tagen Aufenthalt in Uderns festhalten, dass ich in allen Häusern hervorragend gegessen habe. Das Preisniveau ist sehr akzeptabel, die Bedienungen waren allesamt äußerst nett und ich habe es nie bereut, dass ich noch einmal extra losgehen musste.
Mit einem Sieg meiner Borussia wird der lange Tag gebührend beendet. Es waren wirklich schöne und ereignisreiche Tage alleine in Fügen, und das alleine Wandern ist eine schöne Erfahrung, die ich genossen habe, weil viel Ruhe herrscht und Zeit für Gedanken bleibt, ohne dabei melancholisch oder gar depressiv zu werden. Aber jetzt ist es auch genug. Ich bin nicht geboren, um viele Sachen alleine zu machen. Das entspricht einfach nicht meinem Naturell und ich freue mich sehr auf die gemeinsame Zeit mit den Freunden.