Högis Welt
Bergsport, Wandern und Kochen für Männer - Bergtour 19 Teil 2
 
Högis Welt
Home
Wandertouren
=> Bergtour 1
=> Bergtour 2
=> Bergtour 3
=> Bergtour 4
=> Bergtour 5
=> Bergtour 6
=> Bergtour 7
=> Bergtour 8
=> Bergtour 9
=> Bergtour 10
=> Bergtour 11
=> Bergtour 12
=> Bergtour 13
=> Bergtour 14
=> Bergtour 15
=> Bergtour 16
=> Bergtour 17
=> Bergtour 18
=> Bergtour 19 Teil 1
=> Bergtour 19 Teil 2
Högis Bergwelt
Kochtreff
Kontakt
Gästebuch
links-rechts-gradeaus

 

 

Bergtour 19 Zillertal, Krimmler Wasserfälle

 

 

Teilnehmer: Achim

 

                    Reiner

 

                    Frank

                    Hans-Werner

 

 

Tourbuch: Gleitschirmflug vom und Besteigung des Spieljochs in Fügen, Weiterfahrt zu den Krimmler Wasserfällen, Aufstieg zum Krimmler Tauernhaus, Wanderung zur Richterhütte, Wanderung zur Warnsdorfer Hütte mit Eissee, Abstieg nach Krimml.

 

Das Reiseziel der diesjährigen Fahrt stand im Prinzip beim Aufstieg zu den Krimmler Wasserfällen im letzten Jahr schon fest. Die Jungs sind von den Bildern begeistert, Achim möchte den Teil der Fälle, der ihm im letzten Jahr    verwehrt blieb, unbedingt kennenlernen und ich hab das Recht, die Hütte auszusuchen. Also sind alle zufrieden, Hauptsache, sie müssen kein Gepäck schleppen und es wird schön. Dass es letztlich so schön wird, konnte selbst der erfahrenste Wanderer nicht ahnen. Aber alles der Reihe nach.

 

Meine Familie wurde dieses Jahr überrascht durch die Ankündigung, dass sich die Gastfamilie unseres Sohnes Sascha aus dem beschaulichen Kansas auf die Suche nach ihren lange vergangenen deutschen Wurzeln begeben möchte. Wir verabreden uns zu einem gemeinsamen Besuch des Oktoberfestes in München. Das war schon immer ein Wunsch von mir, der nun erfüllt werden kann. Da das Treffen genau eine Woche vor unserer Wandertour stattfindet, beschließe ich, erst das Oktoberfest zu besuchen und danach per Bahn ins Zillertal zu reisen, um mir eine unnötige Heimreise und 3 Tage später eine erneute Anreise zu ersparen.

 

Somit wird der Reisebericht diesmal in zwei Gruppen unterteilt.

 

 

Tag 1 – 3 sind Alleinreisetage

 

Tag 4 – 7 finden wie oben beschrieben statt

 


4. Tag:

 

Es ist wunderschön. Ich werde nachts wach und stelle fest, dass die Jungs im Auto sitzen, wahrscheinlich schon die Schilder Frankfurt am Main sehen und ich drehe mich noch einmal um und schlafe schön weiter. Das könnte ich jedes Jahr so machen. Mir fehlt die lange Anfahrt und die Pause in Geiselwind überhaupt nicht.


Nach dem Frühstück packe ich in Ruhe meine sieben Sachen und gehe zurück in den Frühstücksraum, wo mir das Ehepaar aus dem Nachbarzimmer Gesellschaft leistet. Sie kommen aus Offenbach und der Mann entpuppt sich als langjähriger Fan von Borussia MG. Da gibt es genug zu erzählen und die Zeit bis zur Ankunft meiner Mitwanderer vergeht wie im Flug.

 

Sie halten den Fahrplan perfekt ein und stehen gegen 12 Uhr vor der Tür. Ich habe am Vortag ein kleines Restaurant ausgekundschaftet, in dem wir eine Kleinigkeit zu uns nehmen könnten, aber die Jungs winken ab. Frank hat sich, wie erwartet, am Truckerfrühstück gelabt, und auch die anderen Beiden sind nicht auf Essen eingestellt. Also tanken wir nur kurz und schon geht es weiter Richtung Krimml. Es ist wunderschön, die Gerlospassstraße zu benutzen ohne eine einzige blöde Kuh unterwegs. Nach einem kurzen Abstecher auf den Aussichtsparkplatz auf die Wasserfälle fahren wir nach Krimml. Hier kommt das erste kleine Problem. Wir haben mit unserem Hauswirt vereinbart, dass unser Gepäck befördert wird, aber keiner hat eine Adresse, wo wir das Gepäck abgeben müssen. Wir versuchen zu googeln, aber trotz weitverbreiteter Meinung sind die Alpen nicht zur Gänze mit Handyempfang und schon gar nicht mit schneller Internetverbindung ausgestattet. Also rufe ich letztlich beim Hüttenwirt an und frage nach der Adresse. Die wird mir auch genannt, die Anfahrtbeschreibung geht aber im Funkloch und in den sonstigen Hintergrundgeräuschen unter. Kein Problem, wir haben ja Navis. Kurz die Adresse eingetippt und schon führt uns Uschi durch Krimml. Ein beschauliches Nest in dem Uschi uns die Sehenswürdigkeiten zeigen oder in nicht erforschtes Terrain vordringen möchte . Die Zuhilfenahme eines zweiten Navis ist ebenso wenig präzise, aber es deutet sich an, dass wir in die falsche Richtung unterwegs waren. Nach dem sich die beiden Uschis munter ausgetauscht haben und wir nun wieder am Ausgangspunkt stehen, stellen wir fest, dass wir im Prinzip am Ziel sind. Eine Seitenstraße und schon ist der Fall geritzt. Wir gehen zum Haus, klingeln und nach einer gefühlten Ewigkeit öffnet sich die Tür. Wir erklären, dass wir unser Gepäck abgeben und im Haus deponieren möchten. Da haben wir aber die Rechnung ohne die Einheimischen gemacht. Unser Gepäck bleibt vor der Tür! Unser Einwand, dass uns das als nicht sicher genug erscheint, wird abgeschmettert. Das passt schon, hier kommt nichts weg. Reiner hat sich entschieden, nicht vorzeitig an akutem Sauerstoffmangel zu sterben und schleppt deshalb eigens sein weit über 1000 € teures Apnoesupersauerstoffnachtbeatmungsgerät mit sich. Er ist nicht begeistert von der Idee, dass Gerät hier alleine stehen zu lassen. Ob es die Sorge vor dem Verlust des Geldes oder mehr die Angst vor dem plötzlichen Atemtod ist, ist nicht überliefert. Aber er ist der erste von uns, der sich wieder fasst und auf seine Erfahrung mit abgegebenen Fahrzeugschlüsseln in Neapel verweist. Ich habe keine Ahnung, ob alle ehrenhaften Bürger Neapels an diesem Tag in Krimml Urlaub machen und eigentlich ist es auch nicht von Belang, wir sehen keine Alternative. Natürlich hätten wir sie, aber die Aussicht, dem Reisegepäck, in der Hand festgehalten, die nächsten 3 Stunden die Krimmlerwasserfälle und das wunderschöne Achental zu zeigen, kann uns nicht begeistern. Also lassen wir alles vor Ort zurück und hoffen, dass keiner der gefühlt 3000 Tagesgäste Besitzansprüche auf unsere frisch gewaschenen Unterhosen erhebt oder ebenfalls an nächtlichen Atemaussetzern leidet.

 

Achim und ich kennen uns bestens aus und deshalb kommt es wie es kommen muss. Wir verlaufen uns direkt. Schon im letzten Jahr haben wir den gleichen Fehler gemacht und mussten im Tal den Weg suchen, den eigentlich keiner verpassen kann. Trotzdem finden auch wir den Eingang zum Touristenweg, für den der übliche Zoll der örtlichen Wegelagerer kassiert wird. Im Nachhinein gebe ich zu, dass sich die Investition in die Infrastruktur gelohnt hat, nachdem ich den parallel verlaufenden Weg auf der anderen Seite der Ache gelaufen bin. Ich bin froh, dass wir auf dieser Seite den Aufstieg gewählt haben.

 

Dies tun wir übrigens wie fast alle Touristen. Zu diesen Touristen gehört auch eine stattliche Zahl Menschen mit Migrationshintergrund. Nun ja, wir sind in Österreich und deshalb gehören auch wir zu dieser Volksgruppe, obwohl viele das nur schwer wahrhaben möchten. Dennoch fallen wir nicht weiter unter den Einheimischen und sonstigen Bürgern des westlichen Mitteleuropa auf, ganz im Gegensatz zu den zahlreichen Besuchern aus dem arabischen Sprachraum. Ok, diese Menschen fallen schon wegen der gutgebräunten Haut und die Männer wegen der gesunden  Gesichtsfarbe auf, aber die Frauen sind doch irgendwie eindrucksvoller, weil fast alle von ihnen mit Kopftuch und die meisten sogar verhüllt mit Burka durch die Gegend laufen.  Ich bin in den letzten Jahren viel gereist und habe dabei so unbedeutende Städte wie New York, Chicago, San Francisco, Vancouver, Rom, Athen, London, Berlin und München besucht. Nirgendwo sind mir jemals Touristenströme aus arabischen Staaten aufgefallen. Hier in diese eher gottverlassenen Einöde strömen sie zuhauf hin. Und das war schon letztes Jahr so. Damals haben es Achim und ich noch für Zufall gehalten, aber dieses Jahr sind noch mehr von ihnen unterwegs. Wir werden einige Tage später erfahren, dass es sich dabei um sehr wohlhabende Menschen aus dem mittleren Osten handelt, die Zell am See als ihr favorisiertes Fernziel in den Alpen auserkoren haben. Uns stören die lieben Menschen nicht und ich freue mich, dass der moderne Araber die Berge Tirols genauso schätzt wie ich.

 

Wir laufen von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt staunen angemessen über die Schönheit des Wasserfalls, machen die üblichen Fotos und sind trotzdem überraschend schnell am Beginn des unteren Wasserfalls oder anders ausgedrückt, dem Fuß des oberen Wasserfalls. Dort legen wir auf riesigen Steinplatten ein Päuschen ein. Vor dem Weitermarsch schlägt Achim noch eine Einkehr in das Ausflugslokal vor und wir folgen seinem Rat nur zu gerne.

 

Nach der Rast folgt der Weitermarsch entlang des oberen Wasserfalls. Hier ist die Touristendichte merklich geringer. Das liegt wahrscheinlich daran, dass auch das klarste Wasser irgendwann immer nur klar aussieht, das Geräusch des fallenden Wassers nach einer gewissen Zeit nicht mehr so wirklich spannend ist und außerdem am Gipfel des Wasserfalls kein Restaurant steht. Außerdem ist der Weg hier ungleich steiler als auf der ersten Etappe. In der Zwischenzeit bin ich froh, dass ich meinem Gepäck diesen Weg nicht zumuten wollte, es hätte sich womöglich überanstrengt und eine Schlaufenverlängerung oder sonstiges gefährliches Zeugs für die Bänder zugezogen.


Wir haben es nicht eilig und gehen mehr oder minder gemütlich vor uns hin. Wir ja, nur nicht Frank, der ist irgendwie ein wenig unentspannt und mahnt zu zügigerem Tempo, weil er keine Lust hat im Dunkeln zu wandern. Wir wandern im späten September und es wird tatsächlich nicht mehr um 22 Uhr dunkel sondern gegen 19 Uhr. Ich weiß das, aber das lässt Frank keine Ruhe, er ist dennoch skeptisch und auch mein zarter Einwand, dass ich schon einige Tage vor Ort verbracht habe, kann ihn nicht gänzlich beruhigen. Ich gebe gerne im Nachhinein zu, dass ich die Weg Länge und damit auch die Gehzeit wie immer ein wenig zu optimistisch eingeschätzt habe, aber es gibt keinen realen Grund zur Sorge. Hier merke ich deutlich, dass ich heute Morgen ausgeschlafen aus dem Bett gestiegen bin und Frank die kompletten 900 km hinter dem Lenkrad gesessen hat.

 

Nach einem weiteren kurzen Aufenthalt am Wasserfallanfang, wo wir noch einmal den Weg des tieffallenden Wassers verfolgen, laufen wir in das Achental. Hierbei handelt es sich um ein Hochtal, durch das sich eine Fahrstraße für die vielen Almen zieht. Der Weg von Krimml zum Krimmler Tauernhaus ist mit 12,5 km angegeben und hat eine Höhendifferenz von 574 m. Ziehen wir von dieser Zahl die 385  Höhenmeter des Wasserfalls ab so verbleiben 189 Höhenmeter, die wir auf dem restlichen Weg überwinden müssen. Das ist überschaubar und sehr gemütlich zu gehen. Wir genießen die wunderschöne Landschaft und freuen uns, dass wir endlich wieder gemeinsam wandern können.

 

 

 

Der Marsch dauert, wie bereits erwähnt, doch deutlich länger als erwartet, aber auch die längste Strecke endet irgendwann am Ziel, dass für uns das Krimmler Tauernhaus ist.

 

Wir werden schon erwartet, aber bekommen sogleich mitgeteilt, dass das Gepäck noch nicht auf dem Weg ist. Wir müssen unsere Bergschuhe in den Keller bringen und sollen barfuß durch das Haus streifen. Fußgeplagt wie ich bin, ist das leider im Moment gar nichts für mich und ich greife nach den erstbesten Hausschuhen, die eine Generation vor mir zurückgelassen hat. Besser als nichts ist das allemal. Duschen müssen wir auch nicht, da ja unser Gepäck nicht vor Ort ist. Also können wir uns einer unserer Lieblingsbeschäftigungen widmen. Wir bestellen Ostler, nicht ohne das gewohnte Genörgel von Achim, der sich einen Marillenbrand wünscht. Da wir nicht albern sein möchten, bestellen wir auch einen mit und ich wundere mich zum wiederholten Male, warum man Marille mag, aber keinen Obstler.

 

Der Abend wird mit einer hervorragenden Kürbiscremesuppe und einem sehr schmackhaften Hackbraten eingeläutet.

 

Und dann geschieht das unfassbare, unser Gepäck kommt. Ob man es glaubt oder nicht, es ist vollständig. Reiner kann den Angstdruck vor dem Ersticken entspannt entweichen lassen, ich habe meine liebgewonnen Hausschuhe wieder und auch die anderen beiden schauen nicht so, als ob sie vorher nichts gemisst hätten. Zufriedenheit allenthalben.

 

Das veranlasst meine Mitwanderer die frohe Botschaft in die weite Welt zu posaunen. Ich bin auch nach Jahren auf der Suche nach dem Grund, warum man nach wenigen Stunden häuslicher Abwesenheit, den lieben daheimgebliebenen die Neuigkeiten vom Berg angedeihen lassen muss. Sicher spricht manches dafür, nach einigen hundert Kilometern Fahrt die Neuigkeit des gesunden Ankommens kurz zu überbringen, um der holden Ehefrau die Sorgenfalten aus dem Gesicht und damit einhergehend, die Trauer über die entgangene Auszahlung der Lebensversicherung in eben jenes Gesicht zu zaubern. Dazu würde eine kurze SMS oder dergleichen nach Fahrtende reichen, aber es muss offensichtlich Kommunikation gepflegt werden. Meine Ehegattin und ich sind da eher schmerzfrei, wir beschränken uns auf das notwendige. Bei meinen Freunden ist das offensichtlich anders, sie wollen die Abenteuer des Tages beschreiben, wie ich es erst Wochen später mit der Aufarbeitung der Geschehnisse in Schriftform mache. Leider haben sie nicht mit den Tücken der Technik gerechnet. Wir befinden uns knapp neben dem Arsch der Welt und hier hat man alles, nur keinen vernünftigen Empfang. Irgendwie hat der Hüttenwirt vergessen das WLAN-Kabel anzuschließen. :-) Ja noch schlimmer, nicht mal telefonieren können die Herren gescheit. Sie laufen draußen in jede Ecke und versuchen verzweifelt, die Zahl der Kommunikation verheißenden Balken zu vermehren. Der Erfolg ist eher mäßig. Ich versuche es später auch kurz, weil ich bisher aus dem Zillertal noch gar keine Nachricht zu Hause abgesetzt habe. Ich stelle fest, dass es besser ist, wenn man die Geschichten von den Gefahren in den Bergen besser zu Hause anbringt, wenn Schatzi in den Arm gekuschelt förmlich gebannt an den Lippen des Helden hängt, und teile meiner Lieblingsfrau mit, dass ich auf weitere Anrufe in den nächsten Tagen verzichten werde. Meine Mitwanderer sind nicht ganz so pragmatisch und deshalb wird uns der Versuch an jeder beliebigen Stelle des Zillertals Empfang zu bekommen und das fehlende WLAN-Kabel als Runninggag durch die nächsten Tage begleiten.

 

Getrübt wird der positive Gesamteindruck lediglich durch die Tatsache, dass unsere Bettstatt im Dachgeschoss steht, was im Umkehrschluss bedeutet, dass wir vom EG aus jedes Mal 3 Etagen überwinden müssen. Nach langer Fahrt und Wanderung sind meine Mitwanderer ziemlich schnippisch mit mir und verlangen eine Erklärung für derweil Ungemach. Ich rate ihnen, möglichst nichts im Zimmer zu vergessen, dann bleibt es bei einem täglichen Gang und die Strecke bleibt überschaubar. Da ich ständig was vergesse, zählt es leider nicht für mich. Zur Beruhigung stelle ich fest, dass auch die anderen häufiger unterwegs sind.

 

Fast vergaß ich zu erwähnen, dass unser Abendprogramm fortgesetzt mit Kartenspielen und Zufuhr von geistigen Getränken wird. Außerdem liegen überall im Haus Zirbenholz Erzeugnisse, die gegen jede Form von Krankheit, Unwohlsein, Achselschweiß oder Geldmangel wirken sollen, was wissenschaftlich mehr als einmal erforscht ist. Unsere Wissbegierde ist auch mit fortgeschrittenem Alter nicht geringer geworden und Achim befragt den Hüttenwirt, was Zirben sind. Das Geheimnis ist schnell gelüftet, es handelt sich um eine seltene Kiefernart, die in der Gegend fast ausnahmslos wächst und aus der sich die wundervollen Produkte herstellen lassen. Neben allerlei Kugeln, Figuren und Wachsen vertreibt der Wirt auch einen Zirbenschnaps. Da wir vor nix fies sind, probieren wir auch dieses Gebräu und müssen spontan feststellen, dass die heilsame Wirkung sofort eintritt. Man ist geheilt von weiteren Schnäpsen, das Zeug schmeckt einfach grauenvoll.

 

Da Frank durch die Fahrerei geschafft ist, verabschiedet er sich zuerst und wir drei bleiben noch in Stube sitzen. Der Wirt ist begeistert von unserem Umsatz und möchte uns einen weiteren Zirbenschnaps ausgeben. Ich schwöre, ich lehne selten ab, aber das geht zu weit, hier streike ich und nicht nur ich. Man stelle sich eine Kiefer vor, was soll aus so einem Stück Holz schon geschmacklich vernünftiges herauskommen? Der gute kann uns nicht verstehen, mag er den Schnaps doch so gern. Aber das ist kein Akt, hat er doch einen Hahn an der Theke, der einem Duschkopf nachempfunden ist, mit acht Ausgängen und aus eben jedem kann er Schnaps aus dem Keller in die Gläser laufen lassen. Wir werden noch mit einigen Produkten aus eigener Produktion „verwöhnt“. Alle schmecken ähnlich. Wir sind froh, als wir endlich auch ins Bett gehen können.

 

 

Tag 5:


Ich beginne die Tagesbeschreibung mit einem Zitat aus einer SMS, die uns der liebe Achim vor der Abreise angedeihen ließ. Es ist einfach herrlich, dass die Menschheit nicht mehr verbal kommuniziert sondern alles in Schriftform darnieder legen muss.

 

„Hallo Jungs! Hier der aktuelle Wetterbericht fürs Krimmler Tauernhaus:

Donnerstag leichter Schneeregen 4 Grad 1,2 Sonnenstunden

Freitag 9 Grad, 9,2 Sonnenstunden

Samstag 13 Grad, 10,2 Sonnenstunden

Sonntag 17 Grad, 10,4 Sonnenstunden“

 

Wir konnten es am gestrigen Tag verschmerzen, dass wir nicht durch Schneeregen stapfen mussten. Es war nicht unbedingt Bikini Wetter angesagt, aber wir nahmen problemlos auf der Terrasse an den Wasserfällen draußen unseren Kaffee ein, sind trocken durch das Achental gekommen und die Handschuhe, die meine Ehefrau wie angekündigt auf die Reise zu mir geschickt hat, waren auch nicht nötig. Die 1,2 Sonnenstunden waren schon morgens um 10 Uhr überschritten, aber da war ich noch in Fügen und deshalb zählen sie nicht. Der restliche Tag ist nicht von Dauersonnenschein erhellt, aber es kommt genug Zeit zusammen, dass auch hier die 1,2 Stunden deutlich überschritten werden.

 

Damit war der vermeidlich schlechteste Tag  bereits abgearbeitet und nun kann der strahlendblaue Himmel kommen. Wir schauen aus dem Fenster und müssen feststellen, dass Achim den Wetterbericht der letzten Woche oder aus dem Nildelta gewählt hat. Hier ist es neblig, düster und unheilversprechend. Das Thermometer zeigt erfrischende 2 Grad an und von Sonne ist weit und breit nichts zu sehen. Achim faselt was von Verschiebung um einen Tag, die ja schon mal vorkommen kann. Sind wir bei der Bahn? Wer sich aus dem Fenster legt mit seinen Ankündigungen, der soll auch dafür grade stehen. Sein Vorpreschen wird ihm die nächsten Tage noch häufig vorgehalten, wir haben unseren Spaß daran.

 

Für heute haben wir als Ziel die Richterhütte gewählt, die ich schon seit Jahren besuchen möchte. Wir haben die Hütte als erstes Tagesziel gewählt, weil es 2 Wege dorthin gibt. Bei unserer Planung zu Hause sehen wir laut Karte ist ein Weg kürzer, den wir für den Hinweg wählen, den weiteren Weg wollen wir gehen, wenn wir einen Tag mit 9,2 Sonnenstunden erwischen und wir selber mit guter körperlicher Kraft am Tag gesegnet sind. Soviel zur Theorie, die Praxis holt uns wie immer vor Ort ein. A) fehlt es an Sonnenstunden, woran einzig und allein Achim Schuld trägt und B) steht hinter unserem Haus ein Richtungsweiser mit 2 Hinweisschildern. Weg eins führt zur Richterhütte und weist eine Gehzeit von 2,5 Stunden aus. Weg zwei kommt schon nach lockeren 5,5 Stunden am gleichen Punkt an. Na, da fällt uns die Entscheidung leicht, wollten wir doch eh auf dem Hinweg die kurze Route wählen. Es entfällt aber spontan der Gedanke an den längeren Rückweg, was wir natürlich nur wegen des schlechten Wetters, dass uns Achim verheimlicht hat, machen werden.

 

Der Aufstieg beginnt im nahen Wald und ist sehr steil. Der Weg ist gut ausgebaut und deshalb nicht zu schwierig für uns, dennoch kommen wir mächtig ins Keuchen. Das Krimmler Tauernhaus liegt auf 1622 m Höhe über dem Meer, unser Ziel auf 2374m Höhe, womit also auch die rund 2,5 Stunden Gehzeit ihre Berechtigung haben. Die ersten 300 Höhenmeter legen wir im Wald zurück, danach erreichen wir erneut ein Hochtal mit einem Bach und wandern hier gemütlich entlang. Das Wetter ist beständig mäßig, aber es belastet uns kaum. Dennoch habe ich heute Morgen im Angesicht des Thermometers meine Handschuhe eingepackt und bin froh, dass ich sie nicht anziehen muss. Für warme Hände sorgen zurzeit meine neuen Leihstöcke. Als ich morgens meine Stöcke aufschrauben und auf Länge ziehen möchte, stelle ich fest, dass alles festklemmt und die Mechanik defekt ist. Im Verbund mit dem Hüttenwirt und seinem Werkzeugkasten haben wir versucht, die Mechanik wieder in Gang zu bringen. Das ist nicht möglich, die Stöcke sind Schrott. Simon kennt das Problem schon und hat auch gleich eine Lösung parat in Form von gebrauchten Stöcken. Ich denke, dass es Überbleibsel von vergesslichen Vorgängern waren. Egal, mir helfen sie bestens durch den Tag.

 

Achim und ich verwöhnen uns mit den beständig am Wegrand wachsenden Preisel-, Him- und Blaubeeren, sehr zur Freude unserer Begleiter, die für kulinarische Genüsse keinen Sinn haben und die dauernde Warterei mit leisem Unmut und Unverständnis kommentieren. Trotz jahrelanger gemeinsamer Wanderungen haben sie sich noch nicht an gewisse Rituale gewöhnt.

 

Da das Wetter noch schlechter wird, schlagen wir ein etwas höheres Tempo an und jetzt kommen auch meine Handschuhe endlich gebührend zum Einsatz. Es ist frostig und wir haben uns alle mehr und mehr in wärmere Kleidung gewandet, was für uns Dauerschwitzer ungewöhnlich ist. Leider habe ich im Tal entschieden, dass die Mützen, die Andrea neben den Handschuhen ebenfalls eingepackt hatte, überflüssig sind. Jetzt hätte ich sie gerne, aber es geht auch so. Ich bin nur an den Händen besonders empfindlich. Frank geht ohne Handschuhe, woher soll er sie auch nehmen? Ist ja keine Pussy!  Ob er sie vermisst, lässt er mich nicht wissen. Stattdessen teilt er mit uns einen leckeren Kräuterschnaps, den uns Simon angedeihen lassen hat, damit wir uns an die Geschmäcker der Berge gewöhnen. Das Zeug ist gar nicht schlecht und wir sollen erraten, was uns spendiert wurde. Leider ist für wissenschaftliche Zwecke nicht genügend eingefüllt worden und das Rätsel bleibt bis zur abendlichen Auflösung ungelöst.


Unterwegs werden wir von einem kleinen Suzuki überholt. Der Fahrer sitzt schön im Trockenen und bringt Nachschub für die Hütte. Ich hätte nicht gedacht, dass es auf dem schmalen Weg möglich ist, mit einem Auto bei den Steigungen zu fahren. Man lernt nie aus.


Am Ende des Hochtals werden wir der Richterhütte ansichtig. Für blind durch die Gegend laufende Wanderer hat sich der Hüttenwirt etwas einfallen lassen. Er hat ein Holzschild mit der Aufschrift „Hüttenblick“ entworfen und abgestellt. Das ist schwerer zu entdecken als die majestätische Hütte. Wahrscheinlich hat er im Winter Langeweile gehabt und den Volkshochschulkurs „Gezielte Werbung – Wie wecke ich Bedarf und lenke vom Nachbarn ab“ belegt. Und der Erfolg ist überzeugend. Es kommen tatsächlich alle Leute zu ihm. Ob vor Aufstellung des Schildes weniger Gäste kamen, hab ich leider vergessen zu fragen.


Hütten sehen und dort ankommen sind wie immer zwei verschiedene Paar Schuhe. Wir haben noch gut 200 Höhenmeter zu bewältigen und die haben es in sich, wozu das immer schlechtere Wetter einen guten Teil beiträgt. Wir kommen am Jeep und der Materialseilbahn vorbei und ich hab Lust, statt zu laufen mich nach oben fahren zu lassen. Meine neue Begierde nach Freiluftabenteuern scheint ungebrochen. Wir schaffen den mühsamen Weg auch so und kommen zur Mittagszeit an der Richterhütte an. Von außen sieht die Hütte groß und majestätisch aus, innen ist sie ungewöhnlich klein. Der Gastraum umfasst nur 3 Tische, den Nebenraum habe ich nicht inspiziert. Der Hüttenwirt ist ein älterer Haudegen, der den Job schon mehr als 30 Jahre ausübt. Den haut so leicht nichts um. Hektik ist fehl am Platze. Als der Nebentisch zahlen will und dabei ein wenig forsch zu Gange ist, fragt der Hüttenwirt, ob das Flugzeug schon am Abflug steht.

 

Wir stärken uns nach Lust und Laune. Achim gelüstete nach einem Stück Kuchen. Achims Bio-Buchweizen-Schoko-Kuchen hört sich so gesund an, dass wir alle Abstand vom Probieren nehmen.

 

Reiner bestellt ein Omelette mit Salat, mich gelüstet nach einer wärmenden Suppe und Frank nach süßem Kaiserschmarrn. Wir können uns nicht beklagen, aber Reiners Omelette schlägt alles. Es sieht so verführerisch aus, dass der Teller eigentlich schon von den neidischen Blicken von uns dreien leer geworden sein muss. Auch der Salat sieht so köstlich aus, dass Achim ihn noch schnell nachbestellt.


Wie so oft hängen an den Hüttenwänden Bilder aus längst vergangenen Tagen. Ehemalige Hüttenwirte, die umliegenden Berge und einiges an Fahrzeugen ist auf Fotopapier gebannt für die Ewigkeit hier ausgestellt. Unsere Neugier erweckt ein dreirädriges Motorrad, wonach wir den Hüttenwirt fragen. Die Aufforderung nimmt er gerne an, holt ein großes Fotoalbum und zeigt uns Bilder aus der bewegten Geschichte von mehr als 30 Jahren Tätigkeit als Hüttenwirt. Besonders beeindruckend sind die Bilder von einer Lawinenkatastrophe, die sich  vor Jahren ereignet und große Teile des Weges unter sich begraben hat. Nicht minder bewegend sind die Bilder von einer Überschwemmung, die ebenfalls  den Weg und eine Brücke weggerissen hat. Eindrucksvoll schildert er uns den mühsamen Wiederaufbau und die Mühen, die er damit gehabt hat. Als Flachlandbewohner ist man riesige Lastkraftwagen, auf denen nach Lust und Laune Material zur Baustelle geschafft wird, gewohnt. Hier muss alles mühevoll mit Minibaggern bewegt werden. Dazu ist der Untergrund felsig und Erdarbeiten gestalten sich entsprechend schwierig. Dazu dient auch das Dreiradmotorrad mit Kipper. Eine Sonderanfertigung für den Berg, auf die er besonders stolz ist. Zu Recht!


Außerdem führt er aus, dass der Hüttenbetrieb nach dem Wochenende eingestellt wird und die Hütte winterfest gemacht wird. Das bedeutet, dass alle Utensilien verstaut werden, Stromanschlüsse abgeschaltet werden müssen, die Wasserversorgung unterbrochen und entleert wird, damit sie nicht einfriert usw. Die Hütte kühlt dann aus und im Winter herrschen dort bis zu 30 Grad minus im Inneren, genau wie draußen auf dieser Höhe. Er erklärt, dass im Frühsommer bei der Wiederinbetriebnahme der Hütte das Kondenswasser die Wände in Bächen hinab läuft. Die Hütte wird jetzt geschlossen, da ab sofort auch mit größerem Schneefall zu rechnen ist und der Abstieg dann nicht mehr möglich ist. Achim treibt der draußen einsetzende Schneefall leichte Sorgenfalten auf die Stirn. Vielleicht hat er im Krimmler Tauernhaus seinen Polarschlafsack vergessen, dabei sollte er eigentlich wissen, dass man im Hochgebirge stets mit einem Wetterumschwung rechnen muss.

 

Da das Wetter noch immer nicht besser geworden ist, was natürlich nur Achims Schuld ist, auch hier kein WLAN oder sonstiges Netz für Kommunikation zur Verfügung steht, wollen wir uns nicht unnötig aufhalten. Nach der Stärkung machen wir uns auf den Rückweg. Wir verwerfen auch endgültig den Gedanken an den herrlichen Umweg, der sicher äußerst spannend gewesen wäre, wenn Achim für den nötigen und vor allem versprochenen Sonnenschein gesorgt hätte. Der steile Teil des Abstiegs ist schnell hinter uns gebracht und wir trennen uns.

 

Achim muss sein neues Spielzeug in Form eines Iphone 6 dringend weiter testen und möchte Landschaftsaufnahmen machen. Ihm ist es egal, dass das Wetter nicht mitspielt, er wird den Hintergrund schon so bearbeiten, dass wir alles im Glanze bestaunen können und uns später fragen werden, ob wir nicht doch einen Aufstieg am Kilimandscharo erlebt haben.


Achim hat gar wundersames und besonders charakteristisches auf der anderen Seite des Bachs entdeckt und nimmt den Weg über die jetzt nicht mehr ganz so neue Brücke, um alles fotografisch festzuhalten, was später eh keinen mehr interessiert. Oder doch, er zeigt mir später noch ein Foto, das mir in Erinnerung geblieben ist. Grün auf grau oder so ähnlich. Er war ganz stolz darauf. Ich hab meine Kinder früher für solche Bilder eher verhalten getadelt und ihnen empfohlen, demnächst sorgfältiger zu malen. Achim braucht das Bild für seine Arbeit, weil man immer mal diffuse Hintergründe für Fotos braucht. Hätte ich diesen tiefen Inhalt doch bloß in den Bildern meiner Kinder entdeckt. Verborgene Genies waren sie. Und Achim hätte sich eine Exkursion in die Botanik ersparen können, die ihm zu dem auch noch eine unangenehme Erfahrung bringen sollte. Er hatte bei allem Eifer vergessen, dass die neue Brücke nicht nur neu sondern auch die einzige Brücke weit du breit ist. Da er sich bergab begab, hatte er genau zwei Möglichkeiten, a) zurückgehen oder b) eine geeignete Stelle für den Übergang suchen. Er hat sich für Variante b) entschieden, was nach seiner Auskunft  in einer längeren, frustreichen Suche ausartete.

 

Später am Tag treffen wir uns alle wieder wohlbehalten in der Unterkunft. Hier bereiten wir uns auf den Abend mit seinen vielfältigen Unternehmungen vor. Dabei leistet uns Simons Schwester Gesellschaft, die gerne aus ihrer noch nicht sehr lange vergangenen Jugend erzählt, auch wenn man es nicht hören möchte. So erfahren wir unter anderem von einer wundervollen Bergromanze aus der der dreijährige Sohn hervorgegangen ist. Leider hat auch der Kindesvater gemerkt, dass seine Angebetete nicht der hellste Stern am Himmel ist und hat die junge Liebe beendet. Sehr tragisch, besonders weil wir uns das anhören müssen und ich das hier aufschreiben muss. Und außerdem muss das arme Kind vaterlos einen Großteil seines noch jungen Lebens einsam auf einer Berghütte ohne Nachbarkinder verbringen. Wirklich herzzerreißend, was in der Welt so vor sich geht. Schlimme Schicksale, soweit das Auge reicht.


Entschädigt werden wir mit einem von Simons wunderbaren Getränken. Er kredenzt uns zur Feier des Tages den „Meisterbrand“. Fast wäre mir dieses wichtige Detail vergessen. Gott lob hab ich dieses Mal meine Mitwanderer als Lektoren für den Text engagiert und Achim weist mich auf das Versäumnis mit der gleichzeitig verbundenen Frage hin, ob ich an einer Immunreaktion, die in direktem Zusammenhang mit dem Genuss eben jenes Meisterbrandes stehen muss, leide. Zitat Achim: „Mann, das Zeug war um ein Vielfaches schlimmer als die Zirbeljauche! Den würde ich freiwillig nur dann nochmal trinken, wenn ich aus Versehen den Dieseltank eines russischen Walfängers leergesoffen hätte und den Nachgeschmack loswerden wollte.“ Ich werde ihn bei Gelegenheit darauf erneut hinweisen, wenn er sich über einen Obstler beklagt.

 

 

Tag 6:


Der Samstag beginnt früh und bringt uns den erhofften und (ich erinnere gern noch einmal daran) bereits für gestern avisierten Sonnenschein. Wir freuen uns auf einen wunderschönen Wandertag. Als Ziel steht heute die Warnsdorfer Hütte an, was im Umkehrschluss bedeutet, Hin- und Rückweg werden wieder die gleiche Strecke gehen. Es geht zuerst sanft durch das Achental ca. 2 Stunden bergan, danach wird der Weg steil bergauf die letzten 300 Höhenmeter führen. Bei diesem herrlichen Wetter ist das ein verlockender Ausblick. Wir wandern mehr als vergnügt dem Ziel entgegen und schauen dabei immer auf einen Gletscher, an dessen Fuß nach der Karte die Hütte liegt. Es handelt sich bei dem Gletscher um das Krimmler Kees, was nach Wikipedia übersetzt Gletscher bedeutet. Ich bin ein wenig enttäuscht, dass es sich bei dem Krimmler Kees nicht um den auf allen Almen zum Verkauf angebotenen Bergkäse handelt.

 

Nach einer Stunde Weg kommen wir an einer Großbaustelle vorbei. Es ist schon erstaunlich, dass auf etwa 1800 m Höhe zahlreiche Lastwagen und ein üppiger Bagger zu Gange sind, noch dazu an einem Samstag. Da fragt man sich, ob die Schwarzarbeiter Sonderschichten schieben müssen oder ob der Zeitplan vor dem Wintereinbruch eingehalten werden muss. Außerdem erschließt sich der Sinn der Baumaßnahme dem ungeübten Auge nicht. Der Bagger steht mitten in einer Auwiese und trägt die oberste Schicht sorgfältig ab. Es handelt sich definitiv nicht um eine Ausschachtung für ein Fundament, dazu ist das abgetragene Areal zu groß. Es ist auch nicht wirklich wichtig. Wichtig ist für uns eher, den Ort so schnell wie möglich zu verlassen, weil es stinkt wie auf dem Hundeklo. Da spricht man immer von klarer, gesunder Bergluft und dann sowas.

 

Je näher wir dem Ziel Berghütte kommen umso belebter wird die Gegend. Es fahren einige Fahrzeuge an uns vorüber, die Tagestouristen zum Etappenziel bringen oder Mountainbiker zum Start für den coolen Downhill kutschieren.

 

Wir erreichen die Hütte gegen Mittag und sind überrascht, wie schön sie gelegen und wie modern sie insgesamt ist. Kein Vergleich zur eher altbackenen Richterhütte. Die Plätze draußen sind sehr gut besucht und wir erhalten den letzten freien Tisch mitten in der Mittagssonne. Die Erinnerung an den gestrigen Tag lässt uns das Wasser im Mund zusammen laufen bei dem Gedanken an Omelette. Natürlich wird es nicht halb so gut, wie Reiners am Vortag, aber dafür werden wir durch leckeres Bier und einer einzigartigen Rundumsicht entschädigt. Es herrscht eine Stimmung wie an der Adria. Müßiggang und sonnen ist angesagt. Es bewegt sich rundum keiner mehr als unbedingt notwendig, besonders Frank hält sich auffällig zurück. Das ist nicht Ausdruck seiner eher ruhigen Bankermentalität, sondern zeugt von einem größeren Problem mit seinem Bein. Er hat arge Schwierigkeiten und macht sich ernsthaft Gedanken, ob er den Rückweg schafft. Er will kein Risiko eingehen und schont sich entsprechend.


Wir anderen drei werden uns jedoch nicht schonen, weil die ganze Zeit ein Schild mit der Aufschrift „Eissee 10 Minuten“ unsere Blicke magisch anzieht. Der Gletscher ist zwar nicht weit entfernt, aber selbst bei unserer ewigen Bergzeiteinteilung in 20 Minuten ist es unwahrscheinlich, dass wir das schaffen könnten.

 

Wir brechen auf und müssen über einen einzigartigen Weg laufen. Wir gehen über riesige schräge Felsplatten von nie gesehener Größe, die durch den ehemals aufliegenden Gletscher glattgeschliffen sind. Wir sind begeistert, dass wir den kleinen Umweg in Angriff genommen haben. Doch das Beste kommt erst noch.

 

Hinter einer kleinen Bergkuppe werden wir des Eissees ansichtig. Es ist einer dieser „Ah – Wahnsinn“ – Effekte, den nur die Natur uns bescheren kann. Der Anblick ist mit „umwerfend“ nur spärlich erklärt. Ein Wahnsinnsspektakel für die Sinne. Ein blauer See, umrahmt von Sand und braunen Felsen,  die sich auf der Wasseroberfläche spiegeln, im Hintergrund der Gletscher, der tiefblaue Himmel, Steinmännchen, die Besucher gebaut haben. Alles ist wie ein Gemälde, das man so nur einem großen Künstler zutraut. Hier gibt es dann wirklich das Gesamtkunstwerk.


Wir sind alle drei überwältigt und können kaum glauben, wie schön der Ort ist. Besonders Achim mit seinen Fotografenaugen und dem Künstlergen haut es fast aus den Socken und er ist sich sicher, so etwas Schönes nie zuvor in den Bergen erlebt zu haben. Ich möchte ihm gerne Recht geben, aber die Ansichten von schön sind bei Jedem unterschiedlich. Ich habe zu oft unter einer 2 Meter hohen Schneedecke nach einem Fahrfehler beim Skilaufen gesteckt und mich von Herzen lachend aus dem Loch befreit oder einen Sturz mit dem Rücken auf einen Felsen ohne Querschnittlähmung und sonstige schwere Verletzungen überlebt. Das sind für mich persönlich noch schönere Erfahrungen gewesen. Aber ich gebe ihm Recht, dass es wirklich ein außergewöhnliches Naturspektakel ist, das ich nie wieder vergessen werde.

 

Ich verlasse ungern den herrlichen Ausblick und gehe zu Frank zurück. Ich möchte ihn gerne überreden, sich selbst von der Schönheit zu überzeugen. Er lehnt jedoch ab, was auf die Schwere seiner Schmerzen schließen lässt.

 

Eine Ewigkeit später kann sich dann auch Achim vom Anblick lösen und wir treten den Weg zurück an. Der steile Pfad ist schnell überwunden und danach ist auch Frank wieder optimistisch, dass er den Rückweg schafft.


Wir wandern ruhig durch das Achental und machen einige Fotos mit dem einzigen weiblichen Fotomodell weit und breit. Leider handelt sich bei der Hübschen um ein Rindvieh, das sich für den Star der Almen hält.

 

Für den Rückweg verstaue ich meine Stöcke im Tagesrucksack, da sie auf der Fahrstraße durch das Achental eher hinderlich sind. Leider muss ich bei der nächsten Pinkelpause feststellen, dass ich sie verloren habe. Wie die Dinger aus dem Rucksack fallen konnten ist mir bis heute ein Rätsel. Da sie jedoch vom Hüttenwirt geliehen waren, muss ich abends zu Kreuze kriechen und das Missgeschick gestehen. Simon ist jedoch tiefenentspannt und nimmt es gelassen. Offensichtlich sind es tatsächlich Stöcke, die andere Gäste bei ihm vergessen hatten, ansonsten hätte er sie sich bestimmt vergüten lassen. So preiswert ist der Nachkauf nicht, dass er ständig für schusselige Touristen einen Vorrat anlegen könnte.

 

Zurück im Tauernhaus erwartet Reiner eine unangenehme Überraschung. Bergschuhe sind, wie in den Alpen allgemein üblich, im Haus nicht erlaubt. Stattdessen trägt man Hausschuhe, die während der täglichen Abwesenheit im Schuhkeller auf den Besitzer warten. So sollte es auch mit Reiners Hausschuhen geschehen. Offensichtlich sind andere Wanderer bereits eher ins Haus zurückgekehrt und ihnen fehlten bequeme Hausschuhe. Also haben sie sich für das rassige Modell von Reiner entschieden. Das fand er jedoch wenig lustig, da sie ihm aus mir nicht bekannten Gründen ans Herz gewachsen sind. Die nächste Zeit des Tages verbringt er auf Sherlock Holmes Spuren im Haus und prüft die Füße der anderen Gäste und wird tatsächlich fündig. Ich hab es mir das einfacher gemacht. Ich hatte in weiser Voraussicht, dass meine supersoften Crocks Begehrlichkeiten wecken können, eben jene durch das Kellerfenster hinaus in den Kellerschacht gestellt, wo sie auch nach Rückkehr ins Haus noch brav auf mich warteten.

 

Mit einem wunderbaren Abendessen und den gewohnt ungenießbaren Schnäpsen aus der Hausbrennerei beschließen wir den Abend.

 

  

Tag 7:

 

Wir beschließen unsere diesjährige Tour mit dem Heimweg durch das restliche Achental am frühen nächsten Morgen. Das Gepäck wird uns wieder ins Tal geliefert, was wir als sehr angenehm empfinden, weil so die Hände frei sind für einige wichtige Fotos.

 

Bei der Planung des Weges haben wir beschlossen, den Rückweg über den alten Tauernweg zu nehmen. Dieser Weg wurde bereits in der Antike als Handelsweg und als Alpenpass zwischen Achental in Österreich und Arntal auf Südtirolerseite genutzt. Entsprechend ist sein Zustand. Kein Vergleich zum Touristenpfad auf der anderen Seite des Wasserfalls. Dennoch ist dieser Weg ungleich schöner zu gehen. Er führt nur sporadisch direkt an den Wasserfall und windet sich ansonsten durch sehr ursprüngliches Gehölz, dass ich so in seiner Art bisher nur aus dem kanadischen Urwald rund um Vancouver kannte.  

Durch die permanent hohe Luftfeuchtigkeit wachsen überall Moose. Sie bedecken jeden Zentimeter Boden und hängen auch von den Ästen der Bäume herab. Der Weg ist steil, steinig, anspruchsvoll zu gehen und erfordert die volle Aufmerksamkeit des Wanderers. Umso erstaunlicher ist es, dass wir hin und wieder auf Abdrücke von Mountainbike Reifen stoßen. Die Jungs mit den geländegängigen Allzweckwaffen sind wirklich wagemutig. Zwischen allerlei Gestrüpp, Farn und Dornen ist häufig kaum Platz für einen Wanderer geschweige denn für einen Radfahrer. Und in den Kehren ist es noch einmal besonders heikel.

Wir lassen uns ausreichend Zeit, um die Schönheit der Natur, des Wasserfalls und auch des besonderen Weges auf uns wirken zu lassen. Trotzdem sind wir zeitgerecht im Tal und wundern uns, dass unser Gepäck erneut vor Ort auf uns wartet und nicht bei einem Hobbyanbieter von Ebay zur Rückersteigerung gelandet ist. Wir entscheiden,  in Zukunft wieder mehr an das Gute im Menschen zu glauben.

Nach kurzer Fahrt über den Gerlospass, durch das Zillertal und über die Inntalautobahn, wo wir uns von den Alpen verabschieden, erreichen wir zu besten Mittagspausenzeit unser Lieblingsrestaurant „Hotel Alte Post“ in Holzkirchen. Hier stärken wir uns ein letztes Mal vor der langweiligen Staufahrt quer durch Bayern Richtung Heimat mit bayrischen Spezialitäten. Dabei wird schon einmal über die nächste Tour gegrübelt. Wir sind uns einig, dass wir auch im kommenden Jahr wieder das Zillertal als Ziel ansteuern möchten. Wanderrouten gibt es noch so zahlreiche, das wir bis zum Eintritt in die Rente kein anderes Ziel mehr benötigen.

 

 

 

 

 

 

 


Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden