Bergtour 6: Kaisergebirge
Wir haben lange genug genervt. Wenn wir Richtung Osttirol sind, fahren wir am Wilden Kaiser vorbei. Ein sehr ansprechendes Gebirge, dass wir unbedingt besteigen wollen. Also hat Dieter uns erhört und eine Tour am Kaiser aus getüftelt. Erstaunlicherweise gibt es von der Seite, die wir immer sehen, kaum Touren, die wir machen können. Dabei haben wir von Ellmau aus immer eine Hütte gesehen, die wir unbedingt in unseren Tourenplan einbauen wollten.
Teilnehmer an dieser Tour sind:
Dieter
Achim
Reiner
Frank
Hans-Werner
Wir fahren wie immer früh los und machen unseren Traditionshalt. Ich hab noch gar nicht von unseren Fahrten geschrieben. Es gibt auch nicht viel, was man dazu schreiben sollte. Sie sind jedes Jahr oberätzend. 8-9 Stunden dauert die Hinfahrt im Schnitt, die Rückfahrt immer länger, da wir meistens mitstauen dürfen. Auf der Hinfahrt quält man sich nach ca. 3 Stunden Schlaf in das Auto und fährt bis es endlich hell ist. Und wenn es Hell ist, ist Zeit für Pause. Wir sind Pausenweltmeister. Am liebsten machen wir unsere Pause in Geiselwind. Das hat Tradition. Da schieben sich dann die Stahlmägen ein Truckerfrühstück rein. Truckerfrühstück bedeutet für den Normalmagen ungefähr die Kalorienzufuhr für den Resttag. Die Normalmägen unter uns wundern sich jedes Jahr aufs Neue, das es Menschen gibt, die das überleben.
Wir steigen am ersten Tag auf zur Vorderkaiserfeldenhütte (toller Name nicht).
Am zweiten Tag ist eine längere Strecke vorgesehen. Wir wollen zur Pyramidenspitze. Von dort folgt ein Höhenweg, dem wir nur zu folgen brauchen und sind dann am Abend im Stripsenjochhaus. Theorie und Praxis sind manchmal weit von einander entfernt, wie ihr wisst, trifft das im Gebirge besonders häufig zu.
Wir sind gut drauf. Laufen für unsere Verhältnisse früh los und kommen gut voran. Der Weg zur Pyramidenspitze ist bis auf eine kleine Klettereinlage an einem Felsen, der gesichert ist und von einer dreistufigen Leiter unterstützt wird, sehr angenehm zu gehen. So sind wir früh an der Pyramidenspitze. Nach einem ausgedehnten Mittagessen genießen wir die Sonne. Es sind reichlich Menschen auf dem Berg, was sofort die Dohlen anlockt. Also füttern. Da ich schon mal stehe, schaue ich mich ein wenig um. Auf der anderen Seite gibt es einen Klettersteig, sogar mit Namen. Der gute heißt Winkelkar. Ich hätte mir den Namen sicher nicht gemerkt, wenn es nicht mein erster Klettersteig geworden wäre. Von der Spitze steige ich zuerst an einer Drahtseilsicherung weiter. Und dann steht sie vor mir. Eigentlich ist das nicht ganz korrekt, weil ich sie ja nicht sehen kann. Sie ist nämlich von dem Abgrund vor mir verdeckt. Aber ich finde sie doch. Ach so, keiner weiß worum es geht. Die Leiter natürlich. Sie hängt da für den kleinen Abenteurer. Sie jagt mir den üblichen Angstschweiß auf die Rexonahaut. Das Zeug ist nicht Klettersteigfest, ich benutze jetzt Axe. Da ich mich nicht ins Unglück stürzen möchte, lasse ich sie alleine zurück. Ich unterrichte erstmal alle Mitwanderer von meiner Entdeckung. Ihre Begeisterung hält sich in Grenzen. Aber sie lockt mich, wie der Duft einer läufigen Hündin den Rüden. Und ich steige tatsächlich in diese Leiter ein. Ich überwinde diesen verdammten inneren Schweinehund. Es geht eigentlich ziemlich leicht und ist eine Erfahrung fürs Leben. Auf allen späteren Touren werde ich von diesem Erlebnis zehren.
Unsere Pause fällt reichlich aus. Wir starten nach gut 2 Stunden um unseren Höhenweg zu erreichen. Es geht durch leichte Kieferngehölze stetig bergab. Zwischendurch legen wir die obligatorischen Rauchpausen ein. Ich trinke einen schnellen Schluck und stecke die Flasche so ein, dass ich jederzeit leicht ran komme, weil es warm ist.
Das ich meine Reißverschlüsse kontrolliere, ist seit unserer Tour ins Tannheimer Tal hinlänglich bekannt. Seit dem Wilden Kaiser kontrolliere ich auch den korrekten Halt meiner Flasche. Bis dato hatte ich die Flasche fest in der Außentasche oder hinter dem oberen Reißverschluss. Einmal hab ich eine gute Idee, schon ist sie wieder Scheiße. Ich verliere die Flasche auf dem Weg bergab. Als wir auf den Höhenweg einbiegen machen wir noch einmal Rast. Ich will trinken, doch die Flasche ist weg. Da die Flasche nicht aus Gold besteht, lohnt es nicht sie stundenlang zu suchen. Bleibt sie halt, wo sie liegt. Der nächste Wanderer wird sich über eine SIGG-flasche freuen. Ich kauf mir für ein paar Mark eine neue. Ich hab ja 4 Lastesel dabei, die mich von nun an mitversorgen.
Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Brockhausdefinition für einen Höhenweg gibt. Wir haben gelernt, dass sich ein Höhenweg auf einer bestimmten Berghöhe befindet und am Berg ohne große Steigungen oder Gefälle entlang führt.
Das gilt auch für alle Höhenwege, die wir bisher kennen gelernt haben. Es trifft jedoch nicht für den Weg am Kaisergebirge entlang zu. Hier wird der Höhenweg definiert als Weg der an jeder geeigneten oder ungeeigneten Stelle in die Höhe bzw. kurz danach etwa das Doppelte in die Tiefe geht. Das bedeutet 100 Höhenmeter(HM) hoch, 200 HM runter, 200 HM runter, 300 HM rauf. Immer hübsch bunt gemischt, damit keine Langeweile aufkommt. Der ungeübte Bergwanderer sollte wissen, dass die Zeitangaben für Wegstrecken sehr variieren, je nach dem wer grade so gelaufen ist. Unsere sportbegeisterten Freunde, die uns auf den Touren vorher so locker abgehängt hatten, werden über die meisten Zeitangaben nur müde lächeln. Wir lächeln nie, weil wir meistens langsamer sind. Das liegt a) an unseren Pausen (wir sind halt Pausenweltmeister) und b) daran, dass die Zeitangaben auf einer Faustformel beruhen, die sich immer wieder bewahrheitet. In einer Stunde geht man ca. 300 Höhenmeter. Dabei ist geht es rauf ein wenig langsamer, runter gleicht es sich aus, wenn nicht Kniebeschwerden vorliegen.
Unser toller Höhenweg macht wie beschrieben reichlich Höhenmeter. Da wir aber auf einen Höhenweg alter Fassung eingerichtet sind, rennt uns die Zeit davon. Außerdem ist es warm und ich habe nichts zu trinken. Also frage ich die Sherpas nach Flüssignahrung. Aber siehe da. Auch die hatten Durst und einer nach dem anderen hat den Strunz entdeckt (Flasche leer).
Unsere gute Laune schlägt langsam um. Jeder ist nur noch mit sich, mit diesem verdammten, saublöden Weg und insbesondere mit seinem Durst beschäftigt. Der Weg zieht sich immer weiter und der Durst wird unerträglich. Ich will uns nicht mit Menschen in der Wüste vergleichen, so schlimm war es nicht. Aber der Vergleich stimmt annähernd, weil ich vorher nicht gedacht habe, dass der Mensch sich alleine auf den Durst konzentriert.
Die Pausen fallen aus, weil wir nur zur Hütte wollen und endlich trinken. Die Karte zeigt uns noch eine Alm, von der wir hoffen, dass sie bewirtet ist. Nach rund zwei Stunden erreichen wir sie, doch schon von weitem sehen wir, dass die Läden verschlossen sind und kein Mensch vor Ort.
Doch Rettung naht. So eine Alm hat einen Wasseranschluss und der ist frei zugänglich. Wir saufen wie die Kühe. Wasser kann so gut schmecken. Die Flaschen der Sherpas werden gefüllt, und nach einer ausgiebigen Rast gehen wir weiter zur Hütte. Eigentlich kann es nicht mehr weit sein. Auf der Karte ist es nur so ein winziges Stückchen.
Karte und Natur sind jedoch nicht nur durch den Maßstab different. In der Natur gibt es auch Erhebungen und Senken, die durchlaufen sein wollen. Es wird immer später. Wir sind jetzt fast 9 Stunden unterwegs, es dämmert und keiner hat mehr Lust.
Endlich erreichen wir die Hütte nach diesem ereignisreichen Tag. Hier machen wir eine völlig neue Erfahrung. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Für den nächsten Tag ist die Durchschreitung der Steinernen Rinne bis zum Ellmauer Tor geplant. Es ist schon vorher klar gemacht worden, dass hier Trittsicherheit verlangt wird und der Weg gesichert, weil steil, ist. Ich habe mich schon aus diesem Grund mittags mit dem Klettersteig beschäftigt, um für den nächsten ein wenig Übung zu haben.
Achim ist mit den Nerven am Ende, und sagt dass er morgen auf keinen Fall mitgeht. Das wiederum beleidigt Dieter, der sich wie immer große Mühe mit Vorbereitung der Tour gemacht hat. Außerdem war ja vorher bekannt, was gemacht wird, also besteht er auf Einhaltung. Die Situation droht zu eskalieren, also auf gute Stimmung machen, Karten auf den Tisch und Bier her. Bringt aber alles nichts. Die Stimmung ist hin, zum ersten Mal auf unseren Touren.
Am nächsten Morgen ist immer noch ein wenig dicke Luft. Aber wenn mal drüber geschlafen hat, ist alles nur noch halb so wild. Reiner hat sich Achims Meinung angeschlossen und will Ellmau auch nicht sehen. Frank und ich schwanken noch ein Wenig, mit der Tendenz zum Mitgehen. Dieter geht auf alle Fälle, obwohl eigentlich klar ist, das die Gruppe besser zusammenbleibt.
Also gehen wir drei mutig los, doch Frank stellt schnell fest, dass es für ihn heute keinen Sinn macht. Ich hangele mich am Seil entlang und habe wieder mal keinen Boden, den ich sehen kann. Das hebt meine Stimmung nicht besonders. Als ich dann am Eingang zur Steinernen Rinne stehe und nach oben schaue, einige Hundert Höhenmeter Zickzackweg sehe, beschließe ich, dass ich Ellmau das nächste Mal wieder vom Auto aus anschaue. Ich kehre um, und werde von den anderen freudig begrüßt, weil jetzt einer mehr mittrinkt, isst und Karten spielt. Sonnenterasse und 4 Stunden Doppelkopf. Das ist Erholung pur. Warum Frauen immer Wellness haben müssen? Das ist Wellness!
Dieter kommt putzmunter zurück. Gott sei Dank hatte er die Videokamera mitgenommen, da können wir das Pflichtprogramm wenigstens noch zuhause nachholen.
Wir setzen unsere Tour dann doch noch wie geplant fort. Das bedeutet ein Stündchen Bergab laufen und wieder einkehren, Karten auf den Tisch und weiterspielen. Klasse Tag. Wir nehmen uns vor, solche Tage häufiger einzustreuen.